Campo de Hielo Sur – das Patagonische Inlandeisfeld

Zusammen mit dem alpinistischen Teil unserer Reise kam auch das gute Wetter zurück. Die Paddel wurden gegen Eispickel, die Trockenanzüge gegen Hardshelljacken und die Kajakschuhe gegen Bergschuhe ausgetauscht. Zehn Tage waren wir in einem abgelegeneren Teil Patagoniens unterwegs, auf der Rückseite der Touristenmagnete Fitz Roy und Cerro Torre…

Ankunft in El Chaltén

Nach vier Nächten in El Calafate erreichten wir schließlich El Chaltén, den Ausgangspunkt für Fitz Roy, Cerro Torre, das Südliche Patagonische Eisfeld und viele weitere spektakuläre Touren in Patagonien.

Jetzt kam mein Part unserer Reise, das Bergsteigen. Ziel war das Inlandeisfeld, die größte zusammenhängende Eismasse der Welt – abgesehen von den Polen und Grönland. Ich war letztes Jahr schon mit Udo auf dieser Route unterwegs: über das Valle Eléctrico aufs Eisfeld, weiter zum beeindruckenden Circo de los Altares und über den Paso del Viento zurück nach El Chaltén. Udo und ich waren mit Skiern unterwegs, dieses Jahr sollten Schneeschuhen zum Einsatz kommen.

Und, ja, da blutet das Skifahrerherz. Nach beinahe 4 Jahrzehnten auf den Skiern entschied ich mich nur sehr widerwillig dafür, „Raquetas“ zu verwenden. Zum einen verhält sich das Schneeschuhgehen zum Skifahren bekanntermaßen wie SUP zu Kitesurfing, wie Rampur Indian Single Malt zu Lagavulin oder wie die Skihalle Scheveningen zum Arlberg. Andererseits muss ich dieses Jahr aufgrund einer kleinen Reparaturarbeit an meinem Knie auf einen guten Teil der Skisaison verzichten, diese Skitour ohne Abfahrten hätte auch mit kaputtem Meniskus funktioniert…

Doch alles hat auch seine gute Seite: Schneeschuhe sind leichter als eine komplette Skiausrüstung und wenn sie am Rucksack befestigt sind, bieten sie dem Wind weniger Angriffsfläche – ein riesiger Vorteil in den Tälern zum und vom Inlandeisfeld.

Start zum Campo de Hielo Sur

So kauften wir in El Chaltén Verpflegung für knapp zwei Wochen ein, mixten Müsli, teilten Essen und Ausrüstung auf und packten unsere Rucksäcke. Nach diesem Vorbereitungstag starteten wir. Mit dem Taxi ging es zur Puente Río Eléctrico und ab dort zu Fuß hinein ins Valle Eléctrico, immer Richtung Gletscher und Berge. Als erstes Camp wählten wir die „Playita“ – eine einigermaßen windgeschützte Stelle am hinteren Ende des schönen Lago Eléctrico. Der Weg dorthin war landschaftlich schön und nicht allzu schwierig, doch den 38 kg schweren Rucksack legte ich am Ende des Tages gerne ab. Im Vergleich zum Vorjahr war es ein recht entspannter Tag. Damals eierte ich mit 42 kg am Rücken und von den Windböen hin und her geschoben durch die Landschaft. Die Skier und der große „Trineo“ (Gepäckschlitten) waren ein perfektes aber eher hinderliches Segel.

Als wir nach einer windigen Nacht aus dem Zelt schauten, war alles weiß. El Niño macht sich dieses Jahr stark bemerkbar. Letztes Jahr – und da waren wir genau einen Monat früher unterwegs – lag deutlich weniger Schnee.

Das schöne Weiß störte uns wenig, wir packten, machten uns bei leichtem Schneefall auf den Weg zur Tirolesa – dem Stahlseil über den Fluss zwischen Laguna Marconi und Lago Eléctrico – weiter zur Laguna de los 14 und dem Inlandeisfeld. Ziel war das Refugio Eduardo García Soto oberhalb des Paso Marconi.

Doch die Pläne änderten sich und so entstand kurz nach Mittag ein Camp oberhalb der Laguna de los 14 mit einem phänomenalen Blick auf den kleinen See mit Fitz Roy im Hintergrund.

Refugio Eduardo García Soto

Tag Nummer 3 brachte uns dann zum Refugio, das einsam und allein am Rande des Campo de Hielo Sur auf chilenischem Staatsgebiet steht. Eigentlich dürften wir hier gar nicht sein. Während Corona wurde dieser Grenzübergang geschlossen und die argentinisch-chilenische Politik hat es bislang verabsäumt, ihn wieder zu öffnen. Da es aber weder chilenische Carabineros noch sonst irgendwelche Offiziellen in der Gegend gab und uns unsere Route ja bald wieder nach Argentinien führte, wagten wir den illegalen Grenzübertritt – wie auch andere Gruppen, die hier unterwegs waren. Sogar die Gendarmería in El Chaltén sagte uns, dass es zwar nicht erlaubt sei, über diesen Weg aufzusteigen, aber es gebe Leute, die es trotzdem machten. Sie verboten uns nicht ausdrücklich, unsere Tour anzugehen, erwähnten aber, dass es Probleme geben könnte, falls denn chilenische Carabineros an der Grenze unterwegs wären.

So waren wir am Abend des dritten Tags im recht komfortablen aber unbewirteten Refugio, und weil für den nächsten Tag Windböen bis 100 km/h vorhergesagt waren, verlängerten wir unseren Aufenthalt um eine weitere Nacht. Der zweite Abend schenkte uns einen spektakulären Sonnenuntergang mit rot leuchtenden Wolken über Fitz Roy, Gorra Blanca und der riesigen Eiswüste unter uns.

Der Circo de los Altares

Der Circo de los Altares ist ein Gletscherbecken, das von den Gipfeln Adela, Cerro Torre mit seinen Nebengipfeln Torre Egger, Punta Heron, Cerro Standhardt sowie dem Cerro Domo Blanco und Cerro Ricón umgeben ist. Der Fitz Roy – oder Cerro Chaltén – ist in der zweiten Reihe zu finden. Die genannten Berge gehören zu den eindrücklichsten, wildesten und schwierigsten Gipfel unseres Planeten, entsprechend überwältigend sind das Panorama und die Stimmung an diesem Ort. Abgesehen von wenigen Trekkinggruppen mit Bergführern und Bergsteigern mit großen Zielen ist hier niemand anzutreffen. Meist bläst ein Wind, an Schlechtwettertagen kann er zu Sturm mit Spitzen von weit über 100 km/h anwachsen. Von den Hängegletschern dieser Berge donnern immer wieder Lawinen auf den darunterliegenden Gletscher, der Anblick der über 1.000 Meter hohen senkrechten Granitwände lässt das Klettererherz schneller schlagen und der klare Nachthimmel über dieser Kulisse ist gigantisch.
Und eben dieser magische Platz war das Hauptziel unseres Trips auf dem Inlandeis.

Die 16 Kilometer vom Refugio hierher brachten wir schnell hinter uns, unsere zu Trineos umgebauten Kinderschlitten verrichteten ihren Dienst hervorragend und entlasteten Schultern und Becken. Das Wetter war auf unserer Seite und so verbrachten wir zwei Nächte in unserem Camp am Fuße des Cerro Torre.

Nunatak Witte und zurück nach El Chaltén

Um einen anderen Blick auf das Inlandeis und die Berge an dessen östlichen Rand zu haben, wählten wir den Nunatak Witte als unseren nächstes Ziel. Wir querten 10 Kilometer über das Eisfeld und kamen am Fuße des kleinen, von Gletschern umgebenen Berges an. Nach dem Zeltaufbau und einem entspannten, sonnigen Nachmittag machten wir uns auf den Weg zum ca. 1.700 m hohen Gipfel. Dieser war nicht besonders technisch oder lang, aber in der patagonischen Abendsonne und bei bestem Wetter eine großartige Wanderung. Mit dem Cerro Francisco Moreno (3.536 m) im Westen, dem Cerro Torre (3.128 m) und dem Cerro Chaltén (Fitz Roy, 3.406 m) im Osten sowie dem Volcán Lautaro (3.623 m) am nördlichen Horizont darf man den Nunatak Witte wohl nur als Hügel bezeichnen. Dennoch ist er schön und gerade für Lars und mich besonders, denn es war unser erster gemeinsamer Gipfel – bei unserem dritten Projekt in Patagonien.

Im Abstieg genossen wir die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Der gute Ausblick über das Eisfeld ermöglichte es, einen guten Weg für den kommenden Tag zu finden, zwischen den Spalten des nach Süden hin recht zerklüfteten Glaciar Viedma.

Tags darauf bauten wir unser Camp ab und verabschiedeten uns vom Nunatak Witte, dem Circo de los Altares und dem Südlichen Patagonischen Eisfeld. Gegen Mittag kamen wir am Gletscherrand an, schnallten die Schneeschuhe und unsere Kinderschlitten wieder auf den Rucksack und gingen zur Laguna Ferrari, wo unser nächstes Camp entstand.

Am neunten Tag führte uns der Weg über den Paso del Viento, der seinem Namen diesmal keine Ehre machte. Es war beinahe windstill. Nach der Querung der Gletscherzunge des Glaciar Río Túnel und einer weiteren Tirolesa kamen wir am Camp Laguna Toro an und richteten uns für die letzte Zeltnacht unserer Tour ein.

Wir hatten bislang neun Tage ohne nennenswerte Niederschläge und vergleichsweise wenig Wind – nun musste der letzte Tag natürlich Regen bringen. Regen oder Schnee sind ein wichtiger Bestandteil Patagoniens und glücklicherweise konnten wir diese Erfahrung auch noch machen.

Auf dem Rückweg nach El Chaltén – und vor allem beim letzten 450-Höhenmeter-Aufstieg – war mein Tempo deutlich langsamer als gewohnt. Ich gab meiner Erkältung die Schuld, die ich seit ein paar Tagen mit mir rumschleppte. Das mag mit ein Grund gewesen sein, die eigentliche Ursache fand ich aber später heraus: Das bisschen Essen und Gas, das wir in den letzten 9 Tagen aus meinem Rucksack verbraucht hatten war zu wenig, um das durchnässte Zelt zu kompensieren. Beim Auto angekommen hatte mein Rucksack ein Gewicht von 37,5 kg, fast wie beim Start unserer Runde. Auch gut, denn so ist der Trainingseffekt größer. In El Chaltén musste erstmal auf die erfolgreiche Tour angestoßen werden. Das argentinische Abendessen war eine willkommene Abwechslung zu den Nudeln, Risottos, Nüssen und Müsliriegeln der letzten Tage. Die Planung der nächsten Zeit wollten wir am kommenden Tag angehen. Ich hatte ja noch zwei Wochen bis zu meinem Flug nach Buenos Aires, ausreichend Zeit für eine anständige Kajaktour.

Mein Fazit zur Tour auf dem Inlandeis

Wir hatten ein Riesenglück mit dem Wetter. So ein Wetterfenster mit mehr als 10 Tage ohne wesentlichen Niederschlag und mit nur kurzen windigen Phasen ist für Patagonien eher ungewöhnlich. Nach unserer Erfahrung am Lago San Martín trauten wir uns gar nicht, auf so viel Glück zu hoffen.

Alle von uns gesetzten Ziele konnten wir erreichen, die eine oder andere Verzögerung nahmen wir gerne in Kauf, denn gerade an diesen Tagen präsentierten sich die Berge und das Eisfeld von ihrer schönsten Seite.

Die Zeit im Refugio und am Circo de los Altares war auch auf einer anderen Ebene toll. Unter anderem trafen wir die geführte Gruppe um den Bergführer Jimmi mit den Co-Guides und Trägern Matias und Tomás, ein fleißiges holländisches Skitouren-Paar und den stillen Chilenen Camilo, der sich aus Mangel an Kletterpartnern solo am Cerro Torre versuchen wollte (am Elmo musste er aufgrund der zu warmen Bedingungen umdrehen und ist dann gut wieder ins Tal gekommen).

Wir hatten interessante und amüsante Unterhaltungen und dabei viel über Patagonien, die Gipfel um El Chaltén, das Leben im Süden des Kontinents und alternative Lebenskonzepte erfahren.

Die Berge sind ein Ort der Begegnung, der ähnlich denkende Menschen zusammenführt und für einen natürlichen Austausch sorgt, den es so im geschäftigen Tal nicht geben kann [frei nach William Blake, zumindest ein bisschen 😉].

Auf unserer Tour gab es keine Dramen, keine groben Rückschläge, kein Leiden und keine gefährlichen Situationen. Wir haben keine neue Kletterroute eröffnet und sind auch nicht auf einem anspruchsvollen patagonischen Gipfel gestanden.

Es gibt definitiv nicht genug Stoff, um ein Buch zu füllen, aber mit den landschaftlichen Eindrücken und den so positiven und befriedigenden Gefühlen von Freiheit, Unabhängigkeit und Nähe zur Natur lassen sich die eigenen, internen Speicher weiter befüllen. Und das bleibt fürs restliche Leben und verbleicht nur sehr sehr langsam.

Hier kann ich nur versuchen, ein paar dieser Eindrücke zu vermitteln, vielleicht gelingt es mit den Bildern als mit Worten. Doch natürlich kann auf Fotos die Faszination dieser Gegend nur unzureichend dargestellt werden, da muss man schon selbst hin…

Paddeln oder nicht paddeln, das ist hier die Frage

Bislang hatten wir nicht allzu viel Glück bei unserer Reise, jedem Problem folgte prompt ein anderes. Nur langsam bewegten wir uns in den Süden Patagoniens und ich bezweifelte langsam, dass es mit dem Paddeln und Bergsteigen überhaupt noch was wird.
Doch der erste Schritt ist endlich getan, die erste Kajak-Tour liegt hinter uns. Der Lago San Martín hat sich uns von seiner besten Seite gezeigt, einschließlich Wind und Wellen…

Regen, Wind und Frust

El Bolsón haben wir endlich hinter uns gelassen. Bei der Geldfrage hat sich mit Western Union ein guter Ausweg gefunden. Beim Abholen des mir selbst gesendeten Geldes wurde ich am Schalter tatsächlich gefragt, ob ich eine Tasche brauche. Für den Gegenwert von zwei Euroscheinen bekam ich fünf Stapel mit je 100 Scheinen. Dabei musste ich zum wiederholten Mal an die europäische Inflation denken – Argentinien kann Inflation deutlich besser, und das schon seit Jahrzehnten…

In der Schlange vor dem Schalter quatschte ich mit einer älteren Dame, die mir verriet, dass der nahe Nationalpark Los Alerces wunderschön sein soll, mit Seen, Bergen und einsamer, wilder Natur. Genau das, was wir für unseren ersten Kajaktrip suchten.
So machte ich mich mit Geldscheinen gefüllten Taschen auf den Weg zum örtlichen Büro für Umweltfragen, um in Erfahrung zu bringen, ob wir mit den Kajaks denn auch auf den Seen des Nationalparks unterwegs sein dürfen. Der freundliche Herr versicherte mir, dass dies problemlos möglich sei, mit nur wenigen Ausnahmen. Er selbst habe schon auf diesen Seen gepaddelt. Das stimmte mich sehr zuversichtlich.
So kam es dann zur Entscheidung und am fünften Tag nach unserer Ankunft in El Bolsón brachen wir endlich auf, mit dem Ziel Parque Nacional Los Alerces. Weil wir davor noch einkaufen und für einen kurzen Check in der Werkstatt vorbeischauen mussten, wurde es Abend, bis wir am nördlichen Ende des Nationalparks ankamen. Dort verschönerte uns ein Lagerfeuer den Abend und am nächsten Tag bekamen wir auch die Info, dass wir auf fast allen Seen paddeln dürfen, nur einer sei tabu.
Voller Vorfreude fuhren wir weiter, das bisschen Regen störte uns nicht. Bei einer Wanderung am Lago Verde wurde der Regen stärker, was sich dann auch in den nächsten Stunden nicht änderte. Wir fuhren weiter zum kleinen Ort Villa Futalaufquen und sahen uns dort den Wetterbericht für die kommenden Tage an. Dieser versprach keine Besserung. Also weiter nach Esquel, um dort neue Paddelpläne zu schmieden.

Langsam kam bei mir ein wenig Frust auf. Nun waren wir bereits mehr als einen Monat unterwegs und entsprechend unserer Planung sollten wir bereits den ersten Kajaktrip hinter uns haben, oder zumindest mittendrin sein.
So saß ich am Steuer des VW-Buses, suchte die beste Linie zwischen den Schlaglöchern der Ruta 40 und versuchte festzustellen, was denn nun aus unserer Reise, die wir eigentlich als Expedition mit Roadtrip-Charakter geplant hatten, geworden war. Es fühlte sich eher wie ein Roadtrip mit Überraschungsei-Charakter an: Wenn die dünne, süße Schokoladenschicht weg ist, findet man vielleicht etwas Spannendes, dem man mit entsprechender Kreativität auch Sinn zuordnen kann. Es kann aber auch sein, dass man auf die Plastik-Überraschung im Plastik-Ei nur ein paar Aufkleber pappen kann und die fünfsprachige Anleitung spannender ist, als die Sache selbst…
Bei unserer diesjährigen Reise hatte ich – nach meinem Gefühl – fast nur Nieten gezogen und vom süßen Schokoladengeschmack war schon lange nichts mehr da…

Da solche Gedanken einen Urlaub nicht genussvoller machen, suchte ich die doch zahlreichen positiven Momente unserer Reise: Der argentinische Wein schmeckt hervorragend und das Essen ist sehr gut, sofern man auf Gemüse verzichten kann. Die patagonische Landschaft ist beeindruckend und mit den Argentin@s und anderen Reisenden zu palavern ist immer eine Freude.
Es lässt sich hier sehr gut aushalten und die Landschaft zeigt einem alle paar Kilometer neue schöne Dinge und lenkt erfolgreich von den Problemchen ab. Ich schraubte meine Erwartungen auf ein Minimum zurück und genoss die schlaglochfreien Abschnitte der Ruta 40.

Mit dem Lago O’Higgins, der auf der argentinischen Seite Lago San Martín heißt, hatten wir bald ein neues Ziel gefunden. ‚Neu‘ stimmt nicht ganz, denn der See war eigentlich schon seit dem Frühling Teil unserer Planung. Jedoch von Villa O’Higgins in Chile aus, um nicht über die im See verlaufende Grenze zwischen Chile und Argentinien paddeln zu müssen. Die interessantesten Abschnitte des Sees liegen im westlichen, chilenischen Teil. Um dem lottrigen Bus die paar hundert Kilometer auf der scheinbar schlechten Schotterstraße zu ersparen, wurde das Ziel Villa O’Higgins leider von der Liste gestrichen. So fuhren wir dahin, immer weiter gen Süden, zur argentinischen Seite des Sees.

Der Lago San Martín und die Estancia El Cóndor

Wir kamen unserem Ziel – dem Lago San Martín – immer näher. Auch das Wetter sollte auf unserer Seite sein. Kein Niederschlag und nur ein bisschen Wind waren vorhergesagt. Nach der kleinen Ortschaft Très Lagos ging es rechts weg und knapp 120 km über eine Schotterstraße, die uns zur Estancia El Cóndor führte. Außer ein paar Estancias (riesige, wilde Rinderfarmen), einem See und viel Steppe gab es entlang der Straße gar nichts.
Die Estancia El Cóndor hatten wir ausgewählt, weil es die letzte in dieser Sackgasse ist und direkt am Lago San Martín liegt. Wir wussten nicht genau, ob wir den Bus dort stehen lassen dürfen, aber fragen konnte man ja mal.

Wir wurden herzlich begrüßt und man bot uns direkt Mate und Empanadas an. Später kam Agustín, der Miteigentümer und Verwalter des Anwesens. Er meinte, natürlich dürften wir hier bleiben und wir könnten auch die Scheune für unsere Vorbereitungen nutzen.
Am Abend waren wir dann bereit für eine mehrtägige Tour, rüber nach Chile und weiter zum Glaciar O’Higgins. In der Früh schauten wir noch bei der Gendarmería vorbei, um den Grenzübertritt anzumelden.
Dass sie uns sagten, es sei nicht möglich, legal aus Argentinien aus- und in Chile einzureisen, war uns später egal, denn der Wind wollte einfach nicht weniger werden. Es war unmöglich, bei diesen Böen und Wellen raus zu gehen. So wurde die Tour um einen Tag verschoben und wir hofften auf weniger Wind.

Um zumindest ein bisschen Bewegung zu haben, wanderten wir zur „Condorera“, von wo man einen schönen Blick über den Brazo Maipú des Lago San Martín hat und Kondore aus nächster Nähe beobachten kann.
Fürs Abendessen setzten wir Wasser für Nudeln auf, als Agustín vorbei kam. Als wir ihm über unser geplantes Abendessen aufklärten, meinte er, wir sollen mitkommen, er hätte echtes Essen, das Asado sei gleich bereit und es gäbe Bier und Wein. Das Nudelwasser war sehr schnell beiseite gestellt und wir folgten ihm.
Es war ein sehr gemütlicher Abend mit den Mädels, die sich um die Pferde der Estancia kümmern, dem Chef der Gendarmería, dem deutschen Ehepaar auf Flitterwochen Karo und Jo, drei Damen aus der hiesigen Tourismusbranche und Agustín. Wir erfuhren mehr über die Geschichte der 40.000 Hektar großen Estancia und ihren Wandel zum Urlaubsziel für Touristen, sowie die Möglichkeiten und Unmöglichkeit eines Grenzübertrittes.

Endlich paddeln…

Der kommende Tag brachte keine signifikante Wetteränderung. Sonne, heftiger Wind und beeindruckenden Böen. Ein Versuch musste sein, also starteten wir ohne Gepäck und paddelten ein Stück dem Seeufer entlang. Die Wellen waren hoch, bei vollem Einsatz schafften wir gut 3 Stundenkilometer, die ständigen Böen bremsten uns jedoch immer wieder auf 0 km/h runter. Viellicht wäre es gegangen, aber mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 2 km/h kann man nur sehr langsam Strecke machen. So kehrten wir zurück und stellten uns auf einen weiteren Wartetag ein.
Der nächste Tag war besser, trotzdem nicht gut genug. Dann aber klappte es. Leider fuhren wir nur einen Tag raus, denn für den folgenden Tag waren Böen bis 100 km/h vorhergesagt.
Es war großartig. Wind und Wellen waren fast immer vorhanden und man musste arbeiten. Das patagonische Paddelfeeling stellte sich ein. Es galt, die Wellen richtig einzuschätzen, konzentriert zu bleiben, um jederzeit auf Böen und hohe Wellen richtig reagieren zu können. Keine Zeit, die GoPro zu starten oder einen Schluck aus der Trinkflasche zu nehmen. Und das alles an einem weit abgelegenen Ort, wo kaum ein anderer Mensch auf die Idee kommen würde, rumzupaddlen.
Über die Strecke von 32 km machten wir drei Pausen, um die grandiose Landschaft in Ruhe genießen zu können. Gut, in Ruhe ist ein bisschen übertrieben, Lars maß an seinem Anemometer Böen bis über 50 Stundenkilometer ab.
Am frühen Abend kehrten wir zurück und genossen die letzten Stunden dieses – endlich – aktiven Tags.
Leider war es nur einer, anstatt der geplanten sieben. Das ist deutlich besser als nichts. Und dass es klug war, den Tag nach unserem Trip nicht auf dem Wasser zu verbringen, wurde uns spätestens auf der Fahrt weg von der Estancia El Cóndor klar. Im Brazo Maipú blies der Wind Wasser und Sand durch die Luft, definitiv kein Tag zum Kajaken.

Wir waren wieder „on the Road“, geplant war, heute die rund 240 km nach El Chaltén zu fahren, doch das Auto machte uns mit einem undefinierbaren Geräusch einen Strich durch die Rechnung. So wurde das deutlich größere Städtchen El Calafate zu unserem neuen Ziel…

Patagonien 2023: Roadtrip · Kajak · Inlandeis

Das vierte Mal in Patagonien, das dritte Mal mit dem Ziel, zusammen mit meinem Expeditionspartner Lars Karkosz die wilden und abgelegenen Fjorde mit den Kajaks zu befahren, am Patagonischen Inlandeisfeld unterwegs zu sein und – mit ein bisschen Glück – auch auf einem der vielen selten bestiegenen Gipfel zu stehen.
Unser Roadtrip hat begonnen, es wurden uns bereits einige Schwierigkeiten auf die Straße gelegt, doch wir kommen unserem ersten Ziel immer näher…

Die ersten 10 Tage: Auf die Reise eingrooven

Diesmal begann die Reise in Brasilien, genauer gesagt in Florianopolis auf der Insel Santa Catarina im Süden des Landes. Dort stand auch Lars‘ VW T4, der uns schon auf den vorangegangene Reisen durch die südamerikanischen Länder geführt hat.

Die ersten Tage waren für das Herrichten und Betriebsbereitmachen des Buses reserviert, was besser geklappt hat, als erwartet. Nach dem Wochenende – an dem das eine oder andere Begrüßungsbier mit Lars‘ Freunden und ein gemeinsamer Bootstrip nicht fehlen durfte – starteten wir am Montag vor zwei Wochen unseren Roadtrip ins noch ferne Patagonien.

Weil Lars nach der Tour seinen Bus verkaufen will, haben wir einen 700 km Umweg über Paraguay eingeschlagen. Der frisch hergerichtete VW lief hervorragend gut – bis nach 300 km Fahrt die Schaltung nicht mehr funktionieren wollte. In Curitiba erreichten wir mit viel Kupplungseinsatz eine Tankstelle, fanden heraus, dass das Schaltgestänge kaputt war und richteten uns dort für die Nacht ein. Eine provisorische Reparatur mit Kabelbindern ermöglichte es uns, am nächsten Tag zu einer Autowerkstatt zu fahren. Dort wurde klar, dass es die Ersatzteile – zwei Kunststoff-Lagerbuchsen – in Brasilien nicht aufzutreiben sind. Das heißt dann wohl, in Europa oder den USA bestellen, liefern lassen. Ergo – Pause für mehrere Tage…

Doch wir hatten unser Rechnung ohne den Mechaniker gemacht. Der fuhr los, fand nichts, spannte ein Stück Kunststoff in den Schraubstock ein, fräste und fräste, baute alles ein und am Ende des Tages funktionierte die Schaltung wieder, als ob nichts gewesen wäre. Danke!

Für die Weiterfahrt war es zu spät, so fuhren wir ins Zentrum, stellten das Auto am Parkplatz von Giustu ab, er erlaubte uns, seine Dusche zu benutzen und wir machten uns auf den Weg in die Altstadt, um Halloween zu feiern. Die Bar „Patagonia“ war der perfekte erste Anlaufpunkt.

Um jeden Aspekt des Reiselebens abzudecken, erkannte Lars‘ Verdauung, dass ihr da etwas nicht ganz Konformes zugeführt wurde und arbeitete in Sonderschichten. Das hieß für uns, noch eine Nacht am Estacionamento von Giustu.

Doch dann ging es weiter. Ziel war zunächst Foz do Iguaçu an der Grenze zu Paraguay. Dass uns ein entgegenkommender, mit Schotter beladener LKW mit Steinen beschoss und der Windscheibe ein Sternchen bescherte, hielt uns heute nicht auf, da am Feiertag ja alle Werkstätten ohnehin geschlossen hatten. In Foz do Iguaçu hingegen investierten wir dann doch ein paar Stunden, um herauszufinden, dass hier niemand Sprünge in der Windschutzscheibe reparieren kann. Gut, dann ab nach Paraguay.

Dass das Auto im neuen Land auch glänzen kann, bekam es im Konishi Auto Spa noch eine Sonderbehandlung und es ging – diesmal ohne weitere Probleme – zu Lars‘ alten Freunden und dem potentiellen Autokäufer in die deutsch-österreichisch-schweizerische Siedlung Carlos Pfannl im Südwesten Paraguays.

Von Stephan und Michael wurden wir herzlich aufgenommen und verpflegt, zudem bekam die Windschutzscheibe ein bisschen Zuneigung in Form von Harz, so dass sich der Riss nicht weiter ausbreitet.

Nun war es aber so, dass der Samstag, und mit ihm das „Choppfest“ kam. Das darf man nicht verpassen, hieß es. Beim Oktoberfest der deutschen Siedlung Independecia wurden letztes Jahr 17.000 Eintrittskarten und 60.000 Liter Bier verkauft. Also planten wir eine zweite Nacht ein und ließen uns am Abend auf dieses äußerst schräge Spektakel ein.

Im Festzelt lief Andreas Gabalier, Rammstein und Tiroler Polka, zu der fleißig und traditionell getanzt wurde, auf der Bühne am anderen Ende des Geländes traten Latino-Bands auf und es gab Reggaeton und Cumbia zu hören. An den Kassen und Zapfhähnen waren alle in Dirndl und Trachten gekleidet und es wurde vorwiegend deutsch gesprochen.

Endlich die richtige Richtung – Ziel: südliches Patagonien

Am Sonntag verabschiedeten wir uns von Stephan und Michael und fuhren in den Süden. Endlich. Am frühen Abend kamen wir in Encarnación an, zu spät um sich in der langen Schlange am Grenzübergang einzureihen. Am nächsten Morgen erreichten wir dann nach 2 Stunden Wartezeit problemlos die Stadt Posadas auf der argentinischen Seite der Grenze.

Argentinien ist unser Haupt-Zielland. Vielleicht machen wir im Süden noch einen Abstecher nach Chile, aber die meiste Zeit werden wir in diesem tollen Land verbringen.
Ganz ohne Probleme steht Argentinien jedoch nicht da. Eine Inflation von 140 Prozent, keine Devisen, um am internationalen Markt Treibstoff zu kaufen und die aufgrund der schwierigen Lage steigende Kriminalität lassen die wirtschaftlichen Problemchen in Europa winzig erscheinen.
Für den Geldwechsel gibt es zwei Märkte: den offiziellen, der einem 350,- Pesos pro Euro beschert, und den inoffiziellen – dem Mercado Azul (Blau-Markt) – der aus jedem Euro 960,- Pesos werden lässt (zum Zeitpunkt unserer Einreise).
An Bankomaten wird mit dem offiziellen Kurs gerechnet, teilweise lassen sich dort aber nur 15.000,- Pesos abheben, und das mit zusätzlichen Gebühren von über 5.000,- Pesos. Somit zahlt man für argentinisches Geld im Wert von ca. 16,- Euro (Mercado Azul) ganze 57,- Euro.

Bei einem Kurs von 960,- ist das Leben im Land sehr billig (ein Liter Diesel kostet 35 Cent (trotz Treibstoffmangel), um 4,- Euro kann man gut essen gehen und eine anständige Flasche Rotwein gibt es um 90 Cent. Wenn man mit dem offiziellen Kurs rechnet, dann wird’s ganz schön teuer. Zudem ist alles, was nicht in Argentinien produziert wird, sehr teuer. Zum Beispiel kostet ein Petzl Grigri, das man bei uns um 65,- Euro bekommt, satte 165.000,- Pesos. Das sind umgerechnet 162,- Euro (Mercado Azul) oder 470,- Euro (offizieller Wechselkurs)!

Wir wechselten Geld, kauften Simkarten für die Telefone und machten uns wieder auf den Weg. Des heutige Ziel war La Cruz, einen schönen Campingplatz am Río Uruguay hatten wir uns schon rausgesucht. Doch El Niño vereitelte unseren Plan. Seit Wochen waren die Niederschläge in diesem Teil Südamerikas viel stärker als üblich und die beiden Campingplätze in La Cruz standen komplett unter Wasser. Ein Fischer erlaubte uns, auf der Straße vor seinem Haus zu parken, zusammen mit einer Million Mosquitos.

Der nächste Tag brachte uns nach Zárate am Río Paraná, 90 km nordwestlich von Buenos Aires. Die Mosquitos scheinen uns gefolgt zu sein und auf der Reise noch ein paar Freunde eingeladen zu haben. Wir genossen trotzdem ein Sundowner-Bier am Ufer und verbrachten die Nacht unter dem schützenden Mosquitonetz.

Santa Rosa war das Ziel für den kommenden Tag. Schön langsam kamen wir ins Reisen, unser Ziel – das südliche Patagonien – rückte näher und näher.

Patagonia – finalmente…

Jetzt lief alles wie am Schnürchen. Wir erreichten das nördliche Patagonien und machten zwei Tage gut Strecke. Nach einer Nacht in Villa El Cochón am malerischen Lago Ezequiel Ramos Mexía fuhren wir an Bariloche vorbei – hier werden derzeit recht viele Reisende in Campervans ausgeraubt – und weiter nach El Bolsón.

Wir waren uns darin einig, dass ein Ruhetag fällig wird. Außerdem stimmte etwas mit der Servolenkung nicht, da sollte mal jemand draufschauen. Wir parkten vor dem Hostal El Refugio und richteten uns für zwei Nächte ein. Es hatte sich auch ein bisschen Arbeit am Computer angesammelt und andere kleine Dinge mussten erledigt werden. Einkaufen für die Touren im Kayak und am Inlandeis, Geld wechseln, entspannen und eben das Auto nochmal auf Vordermann bringen.

Der Tag nach unserer Ankunft war ein Samstag. Bei den Werkstätten waren die Tore geschlossen, trotz anders lautenden Öffnungszeiten. Nachdem Lars einen Ölfleck unter seinem Bus entdeckte, wussten wir, dass wir definitiv nicht vor Montag Mittag wegkommen.

Den Sonntag ließen wir entspannt angehen. Am Nachmittag fuhren wir zum schönen Lago Epuyén, ca. 25 km südlich von El Bolsón, genossen die Natur und ein paar Sonnenstrahlen nach dem verregneten Vortag.
Der Montag war wieder mit Aufgaben verplant. Der von Lars ausgewählte Mechaniker war schwer erreichbar und beim Geldwechsel waren wir auch nicht erfolgreich. Obwohl El Bolsón mit ca. 20.000 Einwohnern für patagonische Verhältnisse recht groß und sehr touristisch ist, gibt es wider Erwarten keine Wechselstube. Das Problem mit dem Bankomaten habe ich bereits geschildert – langsam gehen uns die Pesos aus. Bariloche ist zwei Autostunden entfernt, hier könnte man wechseln.

Zudem ist der im Frühjahr erarbeitete Zeitplan ein kleinwenig durcheinander gekommen. Nach dem Abstecher nach Paraguay und den Problemen mit dem Bus liegen wir weit hinter den gestedkten Zielen. Um die Frustration darüber nicht aufkommen zu lassen haben wir beschlossen, diesen Plan grundlegend umzugestalten: Sobald wir können fahren wir weiter in den Süden und planen jeweils für die nächsten Tage.

Diese Art zu Reisen war bei mir bislang immer recht erfolgreich. Wir sind zuversichtlich, noch den einen oder anderen Fjord paddeln und am Inlandeis unterwegs sein zu können. Auch mindestens ein patagonischer Gipfel sollte sich ausgehen. Wir werden sehen – ich werde weiter berichten…

40er-Service: Hintergründe meiner »Social Silence«

In den letzten Monaten war es auf meinen Social-Media-Kanälen recht still. Der Grund dafür sind zwei Verletzungen, die mich seit Ende August davon abgehalten haben, spannende Dinge in den Bergen zu unternehmen und davon zu berichten.
Für jene die es interessiert, hier ein paar Zeilen zu den Geschehnissen in dieser Zeit:

Was für ein Sommer!

Angefangen hat er mit dem ersten Teil der Ausbildung zum Canyoning-Guide, ein paar tollen Schluchten im Land, Touren und Kurse in der Silvretta und im Rätikon, zwischendurch ein bisschen klettern und dann noch eine großartige Tourenwoche im schönen Wallis. Das Highlight war dann die erfolgreiche Expedition zum Pik Lenin Ende Juli bis Mitte August.

Danach hatte ich mir arbeitstechnisch ein wenig Ruhe gegönnt, um mich bestens auf den zweiten und letzten Teil der Canyoningguide-Ausbildung vorzubereiten, die notwendigen Schluchten als Co-Guide zu machen, mir den Traum vom Fliegen zu erfüllen und mich für das eine oder andere Bergprojekt in Südamerika vorzubereiten. Doch es kam ein wenig anders.

Ein kleiner Ausrutscher und eine unglückliche Landung

Dass es im Bach rutschig sein kann, das weiß jede*r. Und ein bisschen rutschen ist ja nicht so schlimm, blaue Flecken und die eine oder andere Schürfwunde heilen schnell. Ein kleiner Ausrutscher Ende August sollte mich jedoch noch länger beschäftigen. Die Kombination Dreck, Nässe, Neigung und ein schwerer Rucksack sind nicht optimal. Wenn man unter diesen Umständen rutscht ist es nicht ratsam, sich mit der einen noch freien Hand nach hinten abstützen. Ich habe es gemacht, konnte mit dem dann folgenden Schmerz jedoch gut leben. Das Bier nach der Tour ließ sich auch mit Links zum Mund führen. Und wenn man am nächsten Tag noch arbeiten kann, dann ist’s ja sicher nicht allzu schlimm. Dachte ich.

Diesen nächsten Tag im Canyon hätte ich mir besser gespart, denn beim letzten (und einzigen) Sprung im kleinen und sehr gemütlichen Matonabach in Buchboden war da ein Stein, mit dem mein Sprunggelenk keine Freude hatte. Zumindest war das meine Interpretation des Schmerzes nach der Landung.

Aber – wie immer – so schlimm kann es nicht sein, wenn man sich noch zum Auto schleppen, entspannt ins Krankenhaus fahren und in die Ambulanz humpeln kann. Nachdem ich im Röntgenzimmer aufgefordert wurde, in einen Rollstuhl zu klettern ohne den Fuß zu belasten, bestätigte mir der Schiebende, dass das eher kein gutes Zeichen sei.

Zwei Stunden nach dem Sprung verließ ich auf einem Bein hüpfend (es gab einen Krücken-Lieferengpass in Bludenz) mit Gips und der Diagnose »Fraktur Innenknöchel rechts« das Krankenhaus. Blöd, weil den Gleitschirmkurs und die Canyoningguide-Ausbildung musste jetzt abgesagt werden.

Was tun mit soviel Zeit Freizeit? Ganz klar: Buchhaltung, die Papierstapel abarbeiten, das längst überfällige Filmprojekt abschließen, die Websites fertigstellen, an denen ich schon viel zu lange arbeite und nebenher heilen. Oder Urlaub? Google sagt, fliegen mit Gips und Krücken ist kein Problem. Hmmm. Eine schwere Entscheidung? Nein.

Vier Tage nach der Verletzung war dann auch der erste Flug in die Ukraine gebucht. Odessa soll schön sein, da war ich noch nie. Und Georgien, da wollte ich schon lange hin. Auch das war schnell gebucht und der Kontrolltermin im LKH Bludenz passte genau dazwischen hinein. Perfekt. Es folgte eine schöne, erholsame Zeit im Osten, mit lieben Menschen, die man schon zu lange nicht mehr gesehen hat.

Der Schlamassel mit der Schulter

Was außerdem in die zwei Tage zwischen den Reisen passte, war ein kurzer Besuch bei meiner Hausärztin. Die Sache mit der Schulter fühlte sich noch nicht ganz okay an. Natürlich, Rucksack und Krücken waren der Heilung nur bedingt dienlich, deshalb wollte ich mir sicherheitshalber betätigen lassen, dass alles super ist. Es gab dann aber eine Überweisung ins MR-Institut, Ende September hatte ich den Termin.

Der Befund versprach eine Verlängerung der 40er-Servicearbeiten. Da war einiges an Sand im Getriebe: Die Supraspinatussehne war ab und hatte sich fast zwei Zentimeter zurückgezogen. Die lange Bizepssehne war zur Hälfte eingerissen und einen entzündeten Schleimbeutel gab es noch gratis dazu. Das hieß Operation, viel Physio und fünf bis sechs Monate Pause. Adios Frühwinter-PowPow, Eisklettern und Reisen. Auch die Tour in Patagonien konnte ich nun endgültig abhaken und die weitere Planung für den Herbst einstellen.

Vor 5 Wochen hatte ich meine Operation in Innsbruck. Der Schleimbeutel ist nun weg, die lange Bizepssehne wurde gekappt und wohl aus Gewichtspargründen verkürzt (Dr. Sperner weiß, dass ich gerne klettere). Das Schulterdach hat zudem einen schnittigen neuen Schliff bekommen und die Supraspinatussehne wurde mit zwei Klemmkeilen, zwei Copper Heads und den besten Kevlar-Reepschnüren am Markt wieder so fixiert, wie es sein sollte.

Seither halte ich mich strikt an die Anweisungen des Arztes und des Physiotherapeuten. Den über die Wochen angehäuften Krankenstand-Speck an meiner Körpermitte versuche ich mit dem geliehenen Hometrainer (danke Schwesterchen!) in Muskelmasse zu verwandeln und an den Oberschenkeln anzusiedeln. Die Gerätschaften, mit denen ich bei der Physiotherapie hantiere, habe ich mir im Schlafzimmer nachgebaut und so angepasst, dass auch die Unterarme etwas von dem ganzen Vor und Zurück und Rauf und Runter haben.

Dr. Sperner meinte letzte Woche, meinen ersten Klimmzug kann ich dann in drei bis vier Monaten machen, es wird also noch ein bisschen dauern, bis ich wieder richtig Gas geben kann. Aber, am Wochenende fand ich heraus, dass die gut 1.000 Höhenmeter auf den Hohen Fraßen mit dem lädierten Knöchel wieder ganz gut möglich sind – und das macht Freude. Das einzige Problem das ich auf mich zukommen sehe ist, »Wie schaffe ich es neben den vielen jetzt geplanten Projekten, Reisen und Touren noch ein bisschen Zeit zum Arbeiten zu finden?«

Diesen 40er-Service erkläre ich nun für quasi abgeschlossen. Nicht nur für mich gut, denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass jede meiner Verletzungen einen Lockdown mit sich bringt (kaputter Daumen im Winter 2020, Knieverletzung im Herbst 2020 und nun das hier).

Genießt auch ihr die gerade angefangene ruhige Zeit, als Motivation möchte ich euch ein optimistisches Ständchen von Christoph und Lollo empfehlen…

7.134 m! Erfolg am Pik Lenin

Es ist ein langer Weg zum Gipfel des Pik Lenin. Und das in vielerlei Hinsicht. Die Vorbereitung in der Heimat, die Reise zum Berg, die Akklimatisationsphase, in der sich Träume in Frust und Ärger wandeln können (wie auch wir lernen mussten). Und dann der große Tag. An dem alles passen muss. Wetter, Gesundheit, Motivation und so vieles mehr. Martin, Stefanie, Cornelius und ich haben den langen Weg zum Gipfel geschafft und sind danach gesund und überglücklich wieder im Camp 3 angekommen.

Start zum Gipfel

Am Samstag, dem 7. August geht es los. Kurz nach halb vier in der Früh verlassen wir bei Temperaturen bis -9 °C das Camp 1 (ABC, 4.400 m). Was uns erwartet wissen wir, und so kommen wir wie geplant Mitte Vormittag im Camp 2 auf 5.400 m an. Unsere Akklimatisation passt, Höhenprobleme gibt es keine. Wir müssen jedoch feststellen, dass uns die Vorbereitung ziemlich viel Substanz gekostet haben. Aber es bleibt ja der restliche Tag zum Erholen. Essen, trinken, relaxen, das schöne Lagerleben genießen und früh in den Schlafsack. Das sind unsere Aufgaben.

Ich erkundige mich noch bei Dominik über die aktuelle Wettervorhersage für den Pik Lenin, alles ist bestens. Es bleibt bei dem Plan, den Gipfel am Montag zu versuchen. Die Aussichten sind sehr gut.

Am Sonntag starten wir gegen 8:30 Uhr den Aufstieg in unser höchstes Camp auf 6.120 m. Wie auch schon die letzten beiden Male ist der letzte 200 Höhenmeter lange und bis zu 45 Grad steile Hang eine Herausforderung. Am frühen Nachmittag kommen wir im Camp 3 an, die Zelte werden bezogen und wir haben wieder einen halben Tag zum Entspannen und Vorbereiten. Es wird eine kurze Nacht und ein sehr langer Montag werden.

Gipfeltag

Der Wecker läutete um 1:30 Uhr nachts. Die ersten 20 Minuten sind notwendig, um sich für den Aufstieg anzuziehen. Dann wird der Kocher angeworfen, Kaffee gekocht und Frühstück zubereitet. Nach der internationalen Mahlzeit aus kirgisischem Käse, süddeutschem Schinkenspeck und Cappuccino schäle ich mich aus dem Zelt und wir starten pünktlich um 3:00 Uhr Richtung Gipfel.

Dieser Aufstieg zum Gipfel beginnt mit 100 Höhenmetern Abstieg. Und die darauffolgenden 400 Höhenmeter über einen steilen Rücken haben es in sich. Es ist mit -19 °C bitterkalt und ich kann meine Zehen, die in 6000er-Schuhen stecken, kaum mehr spüren. Warum nur habe ich mich nicht für die 8000er-Stiefel entschieden? Es geht nicht nur mir so. Auf ca. 6.400 m entscheiden sich erst Thomas und eine wenig später auch Helga, den Gipfelversuch abzubrechen. Kalte Zehen, Unwohlsein und die Nachwirkungen von Verdauungsproblemen der letzten Tage lassen nicht ausreichend Energie, um den Weg fortzusetzen. Thomas wird von unserem russischen Bergführer Juri begleitet, Helga steigt kurz nach Sonnenaufgang mit dem Teilnehmer einer anderen Gruppe ab. So sind wir nur noch zu viert auf unserem Weg zum höchsten Punkt des Pik Lenin.

Die Schlüsselstelle des Gipfelanstiegs soll das „Messer“ auf ca. 6.650 m sein – ein Steilaufschwung, der mit einem Fixseil versichert ist. Diese Passage bringen wir problemlos hinter uns. Bei diesen guten Verhältnissen ist das Fixseil eigentlich gar nicht notwendig. Bald müssen wir jedoch feststellen, dass für uns die Schlüsselstelle eine ganz andere ist. Denn nach dem „Messer“ zieht sich der Weg unendlich lang dahin. Meist ist es recht flach, gelegentlich kommt ein kleiner Anstieg, die Höhenmeter werden nicht und nicht weniger. Wenn man denkt, hinter dem nächsten Anstieg endlich den Gipfel sehen zu können, zeigt sich dort nur ein weiterer Wegbogen, der sich zum Horizont zieht.

Wir sind nicht schlecht unterwegs, einige konnten wir überholen, nur einzelne waren schneller als wir. In den Pausen lassen wir uns Zeit, denn die Wettervorhersage für den restlichen Tag könnte nicht besser sein und der Blick in den Himmel bestätigt die Infos von Dominik.

Ab 6.850 m entscheide ich für mich, nur noch alle 150 Höhenmeter eine kurze Pause zu machen. Ganz kann ich mich nicht daran halten, auf 6.990 m spüre ich, wie mein Körper nach Flüssigkeit und ein paar Nüssen schreit. Ich setze mich hin, esse und trinke was, Martin, Stefanie und Cornelius schließen auf.

Frisch gestärkt geht es an die letzten 150 Höhenmeter. Auch diese ziehen sich, aber in der letzten halben Stunde des Weges ist der Gipfel zu sehen, und das motiviert enorm. Um 12:15 Uhr komme ich ganz oben an, Martin, Stefanie und Cornelius kommen ein paar Minuten später.

Traumhaft. Der Gipfel ist erreicht. Und das bei bestem Wetter. Inzwischen sind die Temperaturen angenehm und der Wind bläst nur schwach. Wir machen ein paar Gipfelfotos und nach einer halben Stunde beginnen wir den langen Rückweg. Natürlich zieht auch der sich, aber abwärts ist es doch um vieles einfacher. Wir überwinden auch den Gegenanstieg zum Camp 3 und gut 14 Stunden nach unserem Aufbruch kommen wir bei den Zelten an. Geschafft.

Zurück zum Fuß des Berges und in die Zivilisation

Das Einschlafen fällt an diesem Abend nicht schwer. Am Dienstagmorgen wird gepackt, ein Teil der Ausrüstung bringen Trägern zurück ins Tal. Wir brechen auf, machen einen kurzen Stopp im Camp 2 und steigen dann weiter ins Camp 1 (ABC) ab.

Pünktlich zum Mittagessen kommen wir dort an und speisen genüsslich, entspannt und glücklich. Es ist ein riesiger Brocken, der mir von den Schultern fällt und unbemerkt im Boden verschwindet. Die Expedition war und ist erfolgreich. Wir sind wieder gesund am Fuße des Berges angekommen, niemand war höhenkrank, es gab keine Dramen, wir waren und sind eine harmonische, fröhliche, optimistische Gruppe mit viel Humor und Motivation. Ein bisschen schmerzt der unglückliche Expeditionsabbruch vom so starken Maurice sowie der Entschluss von Udo, auf den Gipfel zu verzichten. Aber so ist es in den hohen Bergen, ohne kleine Abstriche geht es nur selten und ich bin mit dem Ergebnis der Expedition sehr sehr zufrieden und glücklich.

Die nächsten beiden Tage verlaufen unspektakulär. Wir steigen ins Basislager ab, wo wir uns durch die sauerstoffschwangere Luft zu den Duschen pflügen und uns Schweiß, Dreck, Zweifel und Skepsis aus den Haaren und vom Rücken waschen. Am Donnerstag geht es dann in einer 4,5-stündigen Fahrt nach Osh, die Suche nach einem passenden Restaurant fürs Abendessen verläuft schlussendlich doch noch erfolgreich und mit Schaschlik, Salat, gegrillten Auberginen, Bier, Cheesecake und Espresso feiern wir die erfolgreichen Wochen am Pik Lenin.

Eine eigene Welt am Berg

Bei einer Expedition schrumpfen das Leben und die Welt auf einen sehr kleinen und eingeschränkten Bereich zusammen. Alles spielt sich am Berg ab, der Fokus liegt beim Bergsteigen, Essen und Schlafen. Nur die gelegentliche Kommunikation nach außen bringt ein bisschen was von der restlichen Welt in diese abgeschiedene Sphäre. Und wie auch im alltäglichen Leben gibt es die Menschen, Gruppen, Geschichten und Erlebnisse um einen herum, nur im kleineren Maßstab.

Unsere kleine Amical-Expedition war eine dieser verschiedenen Einheiten. Ich bin überzeugt davon, dass eine erfolgreiche Zeit am Berg sowie der Gipfelerfolg sehr stark von der Stimmung und Motivation innerhalb einer Gruppe abhängt. Ganz besonders beim Höhenbergsteigen. Diese gute Stimmung hatten wir vom Anfang bis zum Schluss, auch wenn es zwischendurch mal einen Dämpfer gab.

Pläne und Taktiken wurden gemeinsam besprochen und so angepasst, dass alle damit einverstanden waren, unterwegs und beim Zusammensitzen an den Nachmittagen und Abenden gab es entspannte Gespräche, es wurde sehr viel gelacht, herumgealbert und erzählt. Wir waren eine sehr vielfältige Gruppe, in der sich alle gut mit den anderen verstanden haben. Sehr schade ist, dass zwei den Gipfel nicht versuchen konnten. Zum einen ist da Maurice, wohl unser Stärkster in der Gruppe. Nachdem er aufgrund unerklärlichen Unwohlseins (ohne irgendwelche Anzeichen für Höhenprobleme) vom Camp 2 absteigen musste und sich beim Abstieg am Knie verletzte, reiste er ab, da es keine Chance mehr für einen weiteren Aufstieg gab. Und Udo, bei dem die erste Akklimatisationsrunde nicht den gewünschten Erfolg brachte. Er entschied, die restlichen Tage im Camp 1 und im Basislager zu genießen. Wann immer wir vom Berg heruntergekommen sind, begrüßte er uns mit einem Grinsen und seiner positiven Ausstrahlung. Es war schön zu sehen, dass er die Zeit genießen konnte, auch wenn seine Expedition nicht wie geplant verlief.

Neben uns gab es andere Gruppen am Berg und in den Camps. Manchen begegneten wir immer wieder, so dass man kennenlernte. So war da die große spanischsprechende Gruppe, die meist in den Zelten nebenan wohnten und die uns am Weg immer wieder begegneten. Wir hatten einen guten Austausch miteinander und waren uns bis zum Gipfel immer wieder zusammen unterwegs. Eine andere Gruppe, die wir gelegentlich in den Camps antrafen, war die eine deutsche Expedition, in der es ständig Streit gab. Diese konnte getrost ignoriert werden. Und natürlich gab es da noch die Partie, die vom sympathischen Schweizer Bergführer Markus und seinem Co-Guide, dem 2,05 Meter großen Hünen Martin, angeführt wurde. Ihre gänzlich andere Herangehensweise an den Berg und die Vorgänge in der Gruppe gaben uns reichlich Gesprächsstoff. Mit dieser bunten Gemeinschaft haben wir uns gut verstanden und bestens zusammengearbeitet.

Neben den „Kunden“ am Berg waren selbstverständlich noch die da, ohne die es nicht geht. Die lokalen Bergführer*innen, Camp-Chefs, Köchinnen und -gehilfen, Träger*innen, Pferdetreiber und und und. Für mich als Bergführer sind sie meine wichtigsten Ansprechpersonen, ohne Vertrauen zueinander ist ein gutes Arbeiten und der Erfolg am Berg nicht möglich. Dadurch entwickeln sich auch besondere Beziehungen. Dies spürt man, gerade wenn man zusammen am Berg unterwegs ist.

Das Gefühl, in einer Weise zu einer kleinen Familie geworden zu sein, obwohl man sich vor zwei Wochen noch nicht gekannt hat, hatte ich auch an jenem Nachmittag, als wir in der warmen Sonne zu dritt vor dem Zelt in einem der Camps saßen. Juri, unser ruhiger, geduldiger und besonnener Bergführer aus Jekaterinburg in Russland, Anastasia, die bergbegeisterte und lebensfreudige Kasachin, die für Ak Sai als Camp-Managerin und Co-Guide arbeitet und zufälligerweise oft gleichzeitig mit uns in den Camps war, und ich. Wir saßen da, unterhielten uns über den Berg, die Leute und das Leben. Da Juri schon seit Tagen mit einem unschönen Husten zu kämpfen hatte, gab es für jeden von uns einen Schluck aus einer fast leeren Whiskyflasche. Bei mir stellte sich ein Gefühl von Heimat ein, obwohl ich mit mir fast fremden Menschen in einem fernen Land mit anderer Kultur und Sprache an einem unwirtlichen Berg oberhalb der 6.000 Meter Grenze saß. Und ich glaube nicht, dass der kleine Schluck Whisky keinen allzu großen Einfluss darauf hatte.

Einen anderen nachhaltigen Eindruck gibt es auch vom letzten Morgen im Basislager. Vor dem Frühstück hat sich mein Zelt geöffnet und Juri ist eingetreten. In der Hand einen kleinen Anhänger (Halskettchen), den all die bekommen, die den Pik Lenin erfolgreich bestiegen haben. Nach unserer Besteigung gab es leider keine Anhänger mehr, weshalb wir uns mit einer Urkunde begnügen mussten. Ich mache mir nichts aus Urkunden, Medaillen oder Trophäen, für mich zählt das Erlebnis und das Wissen über den Erfolg. Deshalb war ich auch nicht eine Sekunde traurig, als es hieß, dass es den schönen Anhänger leider nicht gibt. Doch nun stand Juri in meinem Zelt und sagte mir, er habe zwei und er möchte mir einen davon geben. Ich habe mich sehr gefreut, mich bedankt und den das kleine runde Ding entgegengenommen. Nun habe ich doch eine Belohnung für die Besteigung des Pik Lenin, und dieser Anhänger hat jetzt auch einen sehr großen Wert für mich. Er wird mich nicht nur an den Berg und dessen Besteigung, sondern auch an die großartigen Menschen, die eindrücklichen Erlebnisse und an viele tolle Bekanntschaften und Gespräche erinnern. Danke Juri!

Bereit für den Gipfel – Akklimatisation erfolgreich abgeschlossen

Die Akklimatisationsphase für die Besteigung des Pik Lenin (7.134 m) ist abgeschlossen. Nach einer Nacht im Camp 3 auf 6.120 m erholen wir uns jetzt drei Nächte lang im ABC auf 4.400 m, bevor wir den Gipfelversuch starten.

Camp 1 (ABC) und Yukhina Peak

Als wir vor neun Tagen im Camp 1 (resp. ABC – 4.400 m) angekommen sind, hatte ich schon einen recht konkreten Plan für die Akklimatisationstouren in den kommenden Tagen. Mit unserem russischen Guide Juri hatte ich mich schon darüber geeinigt, nicht wieder ins Basislager abzusteigen, das war für uns beide klar. Was die kommenden Tage betraf, hatte ich jedoch andere Vorstellungen als Juri. So setzten wir uns hin, machten einen gemeinsamen Plan und handelten danach. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen, er war und ist perfekt!

Am Tag nach unserer Ankunft im „Advanced Base Camp“ ging es über den Gletscher bis zum Eisbruch auf ca. 4.700 m. So konnten wir auch die ersten Meter zum Camp 2 erkunden und Juri und ich begutachteten diese erste Schlüsselstelle auf dem Weg zum Gipfel des Pik Lenin.

Nach der Rückkehr wurden die Rucksäcke gepackt, denn am folgenden Tag stand der erste Akklimatisationsgipfel und die erste Hochlager-Übernachtung am Programm. Bis zu den fix installierten Zelten am nahen Yukhina Peak sollten es an die drei Stunden Gehzeit sein.

Genau so war es, am frühen Nachmittag begrüßte uns Anastasia – der Herrin über die Zelte hier – mit einem heißen Tee auf 5.100 m, nur wenige Meter unterhalb des Gipfels. Die gute Aussicht hielt nicht lange, unsere erste Hochlager-Nacht war recht stürmisch und schneereich. Das sollte sich auch in den kommenden Akklimatisationsnächten nicht ändern. Der folgende Tag begann mit dem Abstieg, einem zweiten Frühstück im ABC und ging in einen entspannten Nachmittag über.

Tag 4 oberhalb des Basislagers war mit organisatorischen Terminen gefüllt. Hochlageressen wurde verteilt, Gepäck für den Transport gewogen, bezahlt und hergerichtet, Depottaschen gefüllt und ein bisschen Zeit musste auch noch fürs Üben mit der Steigklemme übrig sein. Um 1:15 Uhr in der kommenden Nacht sollte es ernst werden, der Aufbruch zur finalen und wichtigsten Akklimatisationsrunde stand bevor.

Vier Nächte in Hochlagern bis 6.120 m & Razdelnaya Peak (6.148 m)

Um 3:30 Uhr, nach einem wie immer reichhaltigen Frühstück ging es los, erst der Gletscherzunge folgend zum Eisbruch, über diese steile und spaltige Stelle hinweg und ein Stück die Nordwand hinauf, dann querend in die „Frying Pan“, einem nordöstlich ausgerichteten riesigen und eisigen Parabolspiegel, in dem die Kraft der Sonne so richtig spürbar wird.

Am westlichen Ende der Nordwand befindet sich auf 5.400 m das Camp 2. Knapp 6 Stunden dauerte der Aufstieg, den von vielen prophezeiten Qualen in der „Frying Pan“ konnten wir aufgrund unserer recht guten Geschwindigkeit weitgehend entgehen. Nach dem Beziehen der Zelte wurde die weitere Vorgehensweise besprochen.

Der Wetterbericht versprach wechselhafte Tage und ein Gutwetterfenster um den 8. und 9. August herum. Zeit hatten wir genug, weshalb wir uns für die bestmögliche Akklimatisation entschieden: Camp 3 liegt auf 6.120 m, was einen Schlafhöhenunterschied von 720 m bedeuten würde. Diesen an einem Tag zu überwinden ist aus höhentaktischer Sicht ziemlich mutig. Unsere Variante – Auf- und Abstieg am einen, Übernachtung am darauffolgenden Tag – war feiger, aber sicher auch vernünftiger.

Wie geplant wurde es auch ausgeführt. Zuerst 180 steile Höhenmeter auf einen mäßig steil ansteigenden Rücken, diesem anderthalb Kilometer lang folgend bis zur bösen Flanke unterhalb des dritten Camps. Dieser letzte und bis zu 42 Grad steile Anstieg wurde dann noch mit Schneefall und Sturm gewürzt. Oben angekommen hatte niemand Lust auf langes Rumsitzen im Schneesturm, weshalb es gleich wieder zurück ins Camp 2 und zu unseren wärmenden Schlafsäcken ging.

Tags darauf das gleiche Spiel noch einmal, diesmal aber mit schwerem Rucksack. Wettertechnisch war es bei unserer Ankunft nicht anders als am Vortag. Mit Kochtöpfen (Notiz: besser nicht darauf verlassen, dass das Camp-Management Schaufeln im Zelt hat) schaufelten wir unsere Zelte frei und richteten uns erstmal ein. Im Laufe des Nachmittags hörte der Schneefall eine zeitlang auf und wer Lust hatte, bestieg den nahen und 6.148 m hohen Razdelnaya Peak. Wie eh schon gewohnt kamen am Abend starker Schneefall, Sturm und sogar ein Gewitter, das mit Blitz und Donner direkt über uns hinwegzog.

Gestern ging es nach dem Frühstück zurück ins Camp 1 / ABC, das ein bisschen leerer aussah, als bei unserem Aufbruch ein paar Tage zuvor. Das liegt nicht daran, dass so viele abgereist sind oder sich in Hochlagern befinden, es sind zwei fehlende Essenszelte, die den auch hier niedergegandenen Schneefällen zum Opfer gefallen sind und ein Loch in der Mitte des Lagers zurückgelassen haben.

Wir haben nun zwei Ruhetage im ABC, dann wird es ernst. Der Wetterbericht bringt für unseren geplanten Gipfeltag gutes Wetter, aber in den letzten Tagen haben wir gesehen, dass dem Wetterbericht aufgrund der labilen Lage nicht unbedingt zu trauen ist. Wir sind aber zuversichtlich und hoffen auf 4 Tage Sonnenschein, Windstille und eine perfekte Fernsicht.

Kirgisisches Lagerleben

Das Leben an den bei Bergsteigern beliebten Expeditionsbergen wie dem Pik Lenin ist ein ganz besonderes. Die verschiedenen Agenturen haben ihre eigenen Basislager mit Küchenmanschaft und Essenzelten, Verschläge in denen Cola, Bier und Vodka gekauft werden kann und vor allem ein sehr buntes und internationales Publikum.

Uns ist schon zu Beginn aufgefallen, dass es im Camp von Ak Sai, der Organisation, mit der wir unterwegs sind, eine besondere Vielfalt zu beobachten gibt. Natürlich gibt es die, die man an allen hohen Berg beobachten kann: Nepali für schwere Lasten und Tätigkeiten, bei denen es vorteilhaft ist, von Natur aus auf den Olympus Mons akklimatisiert zu sein, Skyrunner in hautengen Hosen und eingefallenen Wangen, sowie große Expeditionsgruppen mit einheitlicher Rüstung und schwarmhaftem Auftauchen und plötzlichem Verschwinden.

Bei uns gibt es aber auch historische Gestalten, oder zumindest sehr nahe Ensprechungen. Als Beispiele kann ich hier die französischen Pendants zu Hanni und Nanni anführen, die eine orientalische Maid, die manch Bergsteiger*innen-Herz höher schlagen lässt, eine sagenhafte Gestalt, die am Fuße des eisigen Genossen sitzt und mit Rauchopfern versucht, die kirgisische-tadschikischen Berggötter milde zu stimmen, und natürlich der germanische Sagenheld, der mit verzauberter Ausrüstung und undurchschaubarer Taktik  Verwirrung und Unverständnis hervorruft.

Eigentlich wollte ich hier ein paar dieser Geschichen wiedergeben, aber wirklich erfahren kann man sie nur, wenn man vor Ort ist und sich davon fesseln lässt. Und wer es darauf ankommen lässt oder vielleicht kurz nicht aufpasst, wird selbst hineingezogen und findet sich selbst in einer dieser spannenden, oft schönen und selten tragischen Erzählungen.

Auf in die hohen Berge, ins Eis, in Schneestürme und in die glühende Sonnenhitze, in eine zeitlose Welt, grandiose Landschaften und unvergessliche Erfahrungen. Ich sage euch, es ist schön hier und niemals, niemals wird es langweilig…

Start der Expedition zum Pik Lenin (7.134 m)

Endlich ist es soweit, es geht wieder in die hohen Berge außerhalb Europas…

Meine letzte große Reise war die Expedition zum Manaslu im Herbst 2019. Das vorige Jahr versprach dann, ein sehr intensives zu werden: mit Peru im Frühjahr, Kirgisistan im Sommer und West Papua im Herbst. Dachte ich.

Ich bin ja nicht der Einzige, bei dem 2020 anders verlief als geplant. Aber jetzt bekomme ich endlich die Chance, meine noch offene Rechnung mit den 7.000ern zu begleichen. Denn schon zweimal durfte ich Expeditionen zu 7.000ern leiten, aber sowohl an der Gurla Mandhata als auch am Muztagh Ata erreichten wir den höchsten Punkt aufgrund der Lawinengefahr bzw. des Wetters nicht. Obwohl ich keineswegs abergläubisch bin, ertappe ich mich doch immer wieder mit dem Gedanken, dass diese verflixte 7 ganz vorne bei der Höhenangabe etwas damit zu tun hat…

Nun drücke in erster Linie mir selbst und in zweiter Linie uns allen die Daumen (bitte entschuldigt die Egozentrik…). Diesmal wird es klappen. Die Vorzeichen stehen sehr gut, die Teilnehmer*innen sind 7 tolle und motivierte Bergsteiger*innen – wenn das kein gutes Omen ist, was dann!

Ankunft in Kirgisistan

Das Flugzeug brachte uns über Istanbul nach Bishkek, der Hauptstadt Kirgisitans. Die wenigen Stunden Flugzeug-Schlaf mussten reichen, denn Chenia nahm uns alle gleich an die Hand und zog uns durch die Bishkek’sche Altstadt und erzählte, was Kirgisistan zu dem Land gemacht hat, das es heute ist.

Die Müdigkeit war weg, der Hunger da. Dieser wurde gestillt, dann kam das Hotelbett und fünf Stunden später der Flug nach Osh. Dort ab ins Auto und sechs Stunden lang gen Süden bis zur Ankunft in Achik Tash, dem auf 3.610 m gelegenen Basislager des Pik Lenin.

Akklimatisation und los…

Heute war der erste von zwei Akklimtisationstagen. Noch ging es nicht besonderas hoch hinaus, das Spazieren zwischen Seen, Edelweiß, Kühen und Murmeltieren ist eindeutig besser als das Sitzen in Flugzeugen und Autos.

Morgen ist unser letzter Tag im Basislager. Am Vormittag geht es ein bisschen in die Höhe und der Nachmittag ist mit Packen für den Berg verplant. Denn unser übermorgiges Ziel ist das vorgeschobene Basislager (ABC) auf 4.400 m. Dort folgt die weitere Akklimatisation und der Gipfelversuch. Bei Achik Tash kommen wir erst wieder auf dem Weg nach Hause vorbei.

Hier im BC gibt es besten 4G Handyempfang, weiter oben schaut es eher mager aus. Vielleicht geht sich dennoch ein kurzes Update vom Berg aus.

Ich bin gespannt und motiviert, über gedrückte Daumen und Gutwetterwünsche freuen wir uns hier alle!

Heli Sertig

Die Gravitation macht keine Fehler

Letzten Sonntag (9. Februar 2020) bin ich bei einem Eiskletterkurs in Sertig, Davos ca. 20 m abgestürzt, wobei ich mich unglaublicherweise nur an der Hand verletzt habe.

Wenn ein alpiner Unfall passiert, entstehen immer Fragen nach dem Wie und Warum. Es wird spekuliert, geredet, verdächtigt und verurteilt. Auch ich bin immer neugierig und will wissen, was wirklich passiert ist.
Es geht jedoch nicht nur um die Neugierde, sondern auch darum, aus einem solchen Ereignis zu lernen. Deshalb möchte ich hier von meinem Absturz berichten.

Am Sonntag war ich zusammen mit meinem Bergführerkollegen Tobias mit Teilnehmern von zwei Eiskletterkursen (Grundkurs und Fortgeschrittenenkurs) in Sertig, Davos, Schweiz. Nach dem Aufstieg zu den Eisfällen ging es darum, mehrere Toprope-Stände einzurichten. Wir wählten den breiten und nicht allzu steilen Eisfall rechts der Säule (von unten gesehen). Tobias hängte ein Seil in der linken Hälfte des Falls ein, ich wollte auf der rechten Seite hoch. Ich ließ mich von einem Teilnehmer sichern, den ich von einem anderen Kurs kannte und von dem ich wusste, dass er regelmäßig in der Senkrechten unterwegs und äußerst erfahren ist.

Ich verwendete ein 50 m Einfachseil, band mich mit doppeltem Bulinknoten ein und fragte währenddessen die 4 Teilnehmer meines Fortgeschrittenenkurses über die einzelnen Punkte des Partnerchecks aus. Klettergurte, Anseilknoten, Sicherungsgerät, Schrauber, Knoten im Seilende und – vor allem beim Eisklettern – genügend Eisschrauben und Standplatzmaterial am Gurt. Ich kontrollierte kurz Gurt, Sicherungsgerät und Schrauber des Sichernden und legte los. Um schneller voran zu kommen ging ich die ersten Meter über ein Schneefeld rechts des Eisfalles hinauf, dann weiter im Eis, das immer steiler wurde. Das Eis war perfekt und das Klettern machte richtig Spaß.
Oberhalb der dritten von mir gesetzten Eisschraube erreichte ich eine schon vorhandene Sanduhrschlinge, die ich als Sicherungspunkt für den ersten Toprope-Stand verwenden wollte. Einen halben Meter oberhalb dieser Schlinge bohrte ich eine weitere Eissanduhr, fädelte ein Stück Halbseil hindurch und verlängerte es mit einer Bandschlinge zur unteren Schlinge. Mein Kletterseil hängte ich in zwei Drei-Wege-Sicherheitskarabiner ein und ließ mich abseilen.

Darauf, wie viele Meter ich hinaufgeklettert war, hatte ich nicht geachtet. Es waren ja nur drei Eisschrauben, und allzu weit sah es von oben nicht aus. Dass das Seil zu kurz sein könnte, ging mir zu keinem Zeitpunkt durch den Kopf.
Beim (passiven) Abseilen hielt ich mich links der Falllinie, um einen weiteren Toprope-Stand für ein kürzeres Seil (das ich an meinem Gurt befestigt hatte) einzurichten. Die beiden Eisgeräte hielt ich in der Hand. Ich hatte einen guten Platz gefunden und bat den Sichernden, mich noch ein bisschen abzulassen.

Auf einmal hielt mich das Seil nicht mehr. Ich fiel nach unten. Nach zwei Metern Fall ging mir durch den Kopf, dass da wohl irgendwo zu viel Schlappseil gewesen sein muss, nach zwei weiteren Metern dachte ich, dass dies nicht der Grund sein kann, denn dann würde ich jetzt wieder im Seil hängen. Es ging weiter nach unten und ich musste einsehen, dass ich über den Eisfall abstürzte. Ungebremst. In mir entstand eine unendliche Wut. Darauf, dass ich abstürzte. Nach einem Wutschrei schlug ich am Eis knapp oberhalb des Einstiegs auf. Danach ging es weiter durch den steilen Schnee und ich kam zum Stehen. Außer möglichst steif zu bleiben, konnte ich während dem Sturz nichts machen.

Nachdem ich zum Stillstand gekommen war, hörte ich Tobi meinen Namen rufen. Ich antwortete mit einem immer noch zornigen „Ja!“. Ich war nicht wütend auf mich oder den Sichernden, sondern auf die Tatsache, dass ich abstürzen musste. In diesem Moment sah ich meinen Sturz als eine der sinnlosesten Dinge der Welt, dennoch war es gerade eben passiert.

Ich wusste, dass ich ganz schön weit heruntergefallen war und wagte es nicht, mich unnötig zu bewegen. Dass ich mich in einem Schockzustand befand und daher (noch) keine Schmerzen fühlte, war mir klar. Ich sah an mir hinunter und fühlte in mich hinein, um zu prüfen, ob etwas kaputt war. Arme und Beine spürte ich und ich konnte sie auch bewegen. Im Nacken fühlte ich einen leichten Schmerz, weshalb ich es nicht wagte, mich umzudrehen. Mein linker Ellbogen tat weh, doch ich konnte ihn ohne stärker werdende Schmerzen bewegen, was mich beruhigte. Ich fühlte meinen linken Daumen den Handschuh komplett ausfüllen und mir wurde klar, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Aber der Daumen war in diesem Moment nicht so wichtig.

Teilnehmer unseres Kurses, andere Eiskletterer und Tobi kamen zu mir und versorgten mich bestens. Rettungsdecke, Biwaksack, Daunenjacke und Fäustlinge. Mein nicht sehr schön aussehender Daumen wurde verbunden und ich auf weitere Verletzungen am Rumpf untersucht. Ich erlebte an mir selbst eine perfekte Umsetzung des Erste Hilfe Handbuches.

Es war klar, dass aufgrund der Sturzhöhe ein eigenständiger Abstieg zu riskant war. Wir wussten nicht sicher, ob die Wirbelsäule verletzt wurde oder ob es zu inneren Verletzungen gekommen ist. So wurde die Rega alarmiert und Flugretter und Notarzt bei mir abgesetzt. Die Punkte aus dem Erste Hilfe Handbuch wiederholten sich, das Ergebnis war dasselbe. Der Notarzt entschied, mich mit dem Bergedreieck ausfliegen zu lassen. Ich bedankte mich bei allen, die sich so vorbildlich um mich gekümmert hatten und wir flogen davon.

Nach der Zwischenlandung stieg ich eigenständig in den Hubschrauber ein und ging dann auch zu Fuß vom Helipad in den Behandlungsraum im Spital Davos. Dass dies möglich war, beruhigte mich weiter und ließ mich eher gespannt als beängstigt auf die Ergebnisse der kommenden Untersuchungen blicken. Daumen und Ellbogen wurden geröntgt, am Ellbogen wurde nichts Auffälliges gefunden. Beim Daumen sah es nicht so gut aus, weshalb noch ein CT gemacht wurde. Nachdem die Bilder fertig waren, empfahl mir Frau Dr. Tatjana Kaulitz, einen Handchirurgen aufzusuchen. Ich wurde entlassen und Tobias chauffierte mich zurück in die Heimat. Während der Fahrt informierte ich mich, wo ich am besten einen leistbaren Handchirurgen finden könnte.

Das Ergebnis meiner Recherche legte die Uniklinik in Innsbruck nahe. Ich rief an, mir wurde versichert, dass ich im Laufe der Woche operiert werden könne und ich fragte meine Mutter, ob sie Lust hätte, mich in die Tiroler Hauptstadt zu bringen.

Kurz vor 22:00 Uhr kamen wir dort an, ich meldete mich an, ging in die Ambulanz und hatte ein weiteres Mal Glück. Diensthabender Oberarzt war in dieser Nacht gerade Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Rohit Arora, Leiter der Handchirurgie. Er erklärte mir zwar, dass ich den Daumen ziemlich gründlich zerstört hätte, und dass das Daumenendgelenk wohl nie mehr so funktionieren würde wie vorher, aber er sagte mir auch, dass er den Finger gleich operieren könne. Kurz vor Mitternacht wurde er dann betäubt, ich landete im OP und es ging los. Eine halbe Stunde später hatte ich zwei Drähte und einen Fixateur externe im Daumen und der Unterarm war im Gips.

Die folgenden Tage waren wenig ereignisreich, am Donnerstag packte ich meine Sachen und fuhr mit dem Zug wieder nach Hause. Jetzt heißt es erstmal entspannen und den Knochen heilen lassen. In einem Monat kommt das Metall wieder raus und dann wird es hoffentlich nicht mehr allzu lange dauern, bis ich auch mit meiner linken Hand wieder Skistöcke, Eisgeräte, Klettergriffe und die Kamera halten und bedienen kann…

 

Was ist passiert?

Nachdem mein Sturz im Schnee endete und ich feststellen durfte, dass soweit alles in Ordnung war, wollte ich unbedingt wissen, was denn nun zu meinem Absturz geführt hatte. Viel ging mir durch den Kopf, aber nichts ergab Sinn. Seilriss? – Unmöglich. Anderes Materialversagen? – Auch nicht wahrscheinlich, denn es war alles doppelt abgesichert, so, wie es sein sollte. Ausbruch einer Eissanduhr? – Auch unmöglich. Der logische und einfachste Grund wollte mir nicht einfallen: Zu weit hinaufgeklettert und kein Knoten im Seilende. Eine Absturzursache, die leider viel zu oft vorkommt und die so leicht verhindert werden kann.

Beim Hinaufklettern hatte ich so viel Spaß an der Sache, dass ich nicht viel über die Länge des Seils nachdachte. Ich blickte gelegentlich nach unten, und wenn ich sah, dass die letzte Eisschraube schon ziemlich weit unter mir war, setzte ich eine neue. Als mein Ziel sah ich eine Eissanduhr-Schlinge, die solid aussah und mir das Bohren eines zweiten Sicherungspunktes ersparte. Als ich dort ankam, hatte ich drei Schrauben als Zwischensicherung gesetzt und ich verschwendete keinen Gedanken an die gekletterte Länge. Im Klettergarten ist man nach drei Expressschlingen maximal 10-12 m über dem Boden. Tatsächlich bin ich aber ca. 35 m hinaufgeklettert. So blieben mir nur noch 15 m Seil zum Abseilen. Das geht sich nicht aus, egal wie man es dreht. Das war der erste Fehler.

Der zweite Fehler war der nicht gemachte Knoten am Seilende.
Ich würde mich selbst schon eher als recht vorsichtigen und wenig leichtsinnigen Bergführer und Kletterer bezeichnen. Durch meine Arbeit als Bergführer bin ich sicher noch gewissenhafter geworden. Und gerade dieser eine Knoten wird von mir meist auch dann gemacht, wenn er eigentlich nicht notwendig wäre. Es ist keine Woche her, als ich mich dabei ertappte, wie ich einen Knoten in das Seilende eines 80 m Stricks machte, um dann in eine Route einzusteigen, die keine 20 m lang war. Aber – sicher ist sicher, der Knoten schadet nie.
So habe ich die Wichtigkeit des Knotens auch während dem Einbinden am Fuße des Eisfalls erwähnt, nur eben nicht gemacht. Als Bergführer ist es allein meine Verantwortung, diesen Knoten zu machen und zu kontrollieren, vor allem wenn ich Teil der Seilschaft bin.

Ich habe mich auch immer wieder gefragt, warum mir dieser Fehler passieren konnte. Denn meiner Meinung nach ist er nicht typisch für mich. Wahrscheinlich hat auch etwas anderes in meinem Kopf mitgespielt. Ich war noch ein wenig von einer Erkältung geschwächt, der ich nie die Zeit gegeben habe, komplett auszuheilen. Es ist Hochsaison und als Bergführer kann und will man sich von einer kleineren Krankheit nicht vom Arbeiten abhalten lassen. Denn kurzfristiger Ersatz kann in der Hochsaison nur selten gefunden werden, die Kunden will man nicht hängen lassen und das Geld, das in der Hochsaison nicht erarbeitet wird, lässt sich in der Nebensaison nicht einfach so nach-verdienen.

Als Bergführer muss man zu jedem Zeitpunkt 100 Prozent fit und konzentriert sein, denn viele Entscheidungen betreffen die Gesundheit und manchmal das Leben des Kunden und der eigenen Person. Leider lässt sich das nicht immer umsetzen – und Fehler passieren.

Es sind drei Dinge, über die ich unglaublich froh bin:

  • Es hat mich erwischt. Ich alleine muss mit den (körperlichen) Folgen meiner Fehler klarkommen. Viel schlimmer wäre, wenn eine/r meiner Kund*innen abgestürzt wäre.
  • Ich hatte eine freie Sturzbahn und bin mit niemandem am Fuße des Eisfalls zusammengestoßen. Von einem abstürzenden Stefan, der mit Steigeisen, Eisgeräten und Eisschrauben bewaffnet ist, sollte keine*r getroffen werden.
  • Die Sache ist sehr glimpflich ausgegangen. Nach einem solchen Sturz mit Aufprall am Eis muss man eigentlich mit schwereren Verletzungen rechnen. Auch der lange und steile Auslauf in recht weichem Schnee hat Schlimmeres verhindert.

 

Viele der hier gemachen Angaben zu meinem Absturz sind subjektiv. Die Sachen, die mir während und nach dem Absturz durch den Kopf gegangen sind, habe ich so geschildert, wie ich sie in Erinnerung habe. Es kann sein, dass das eine oder andere Detail von Außenstehenden anders wahrgenommen wurde.

Die Längen, die ich hier abgegeben habe, sind nicht mit dem Maßband abgemessen. Ich habe mit Tobias mehrfach darüber geredet und wir haben versucht, diese Längen so genau wie möglich herauszufinden. Tobias ist nach meinem Abtransport noch einmal hinaufgeklettert um die Eisschrauben und Standplätze abzubauen. Dabei konnte er die Höhen noch einmal genauer einschätzen. Weiters war neben dem Punkt, an dem ich einen zweiten Toprope-Stand einrichten wollte, ein knapp 50 m langes Seil von Tobias eingehängt, was die Schätzung der Sturzhöhe vereinfachte.

Die Angaben dürften daher recht gut passen, auf den Meter genau sind sie aber sicher nicht.

Positiv an diesem Unfall ist, dass ich sehr anschaulich demonstrieren konnte, wie wichtig der Knoten am Ende eines Kletterseils ist. Ich bin mir sicher, dass alle beteiligten – ich inklusive – in Zukunft noch mehr darauf achten werden, dass eben dieser Knoten auch gemacht wird.

Ich möchte mich herzlichst bei unseren Kunden, bei Tobi und bei allen Beteiligten am Eisfall für ihre Hilfe und ihr Verständnis danken. Weiters vielen Dank den Teams der Rega, des Spitals Davos, der Unfallambulanz der Uniklinik Innsbruck, dem Handteam in Innsbruck, das mich wieder zusammengeflickt hat, meiner Mama für die Taxidienste und meinen Freund*innen für die vielen Besserungswünsche!

Bis bald in den Bergen, am Fels und in der Boulderhalle!

Gipfelerfolg am Manaslu (8.163 m)

Am Vormittag des 26. September 2019 erreichten wir nach einem fünftägigen Aufstieg den Gipfel des 8.163 m hohen Manaslu.

Aufbruch zum Gipfel

Wie geplant starteten wir am 22. September nach dem Mittagessen Richtung Lager 1. Das gute Wetter sollte sich erst in ein paar Tagen einstellen, weshalb wir uns über die 15 cm Neuschnee und die vielen Wolken nicht wunderten. Der Weg zu unseren Zelten auf 5.600 m kannten wir inzwischen schon bestens, nach 3 Stunden waren wir am Ziel der ersten Etappe.

Wie gewohnt schneite es in der Nacht, doch am nächsten Morgen zeigte sich das Wetter von seiner besten Seite. Zum ersten Mal seit unserer Ankunft am Manaslu vor zwei Wochen sahen wir die beeindruckenden Berge des Mansiri Himal.

Aufstieg ins Lager 4

Wider Erwarten ist auch in einer Höhe von 6.000 m gerade die Hitze das, was einen im Aufstieg am meisten Energie kostet. So war es auch bei unserer Etappe zum Lager 2. Wir waren fast durchwegs im Nebel unterwegs und die durchscheinende Sonne strahlte in einer mörderischen Intensität.

Der nächste Tag sollte erholsamer werden, die knapp 400 Höhenmeter zum Lager 3 brachen wir in drei Stunden hinter uns, genügend Zeit für ein bisschen Entspannung, gutes Hochlager-Essen und viel Flüssigkeit.

Ab jetzt wurde es ernst, denn Lager 3 war für uns der bislang höchste Punkt am Manaslu. Die beiden folgenden Tage versprachen anstrengend zu werden, doch wir waren für den weiteren Aufstieg bestens motiviert.

Früh am Morgen brachen wir von unserem Lager auf 6.720 m auf. Nach Erreichen eines Sattels wurde der Weg immer steiler, führte über eine kurze senkrechte Stelle zu einer Querung, die an einem weiteren Sattel endete, in dem unser Lager 4 (7.445 m) stand.

Nachdem wir unsere Zelte ein bisschen verbessert hatten (man will ja auch auf dieser Höhe gut gebettet sein) ging es ans Wasserschmelzen und Kochen. Ich dachte es wäre eine gute Idee, auf fast 7.500 m einen Lachs mit Nudeln zu Abend zu essen. Zur Absurdität des Höhenbergsteigen passt doch ein für hier absurdes Essen.
Ich kann leider nicht sagen, dass es besonders gemundet hat. Ob es nun an meinem Appetit, dem Lachs oder dem Koch der Fertigmahlzeit lag, weiß ich nicht.

Danach war Zeit fürs Bett – oder besser gesagt – den Schlafsack. Viel Schlaf war uns nicht gegönnt, denn der Wecker war auf 23:00 Uhr gestellt.

Zum Gipfel des Manaslu

Nach einem guten Frühstück bestehend aus Schüttelbrot, Frischkäse und Kaffee war es Zeit, sich in Daune einzupacken, in die Expeditionsschuhe zu schlüpfen, die Steigeisen anzuschnallen und den Rucksack zu schultern. Um 1:15 Uhr ging es los.

Wir waren bei weitem nicht die einzigen, die heute den Gipfel als Ziel hatten. Im Gegensatz zum größten Teil der anderen Bergsteiger waren wir jedoch ohne Unterstützung von Flaschensauerstoff unterwegs.

Der Weg führte uns erst über den angenehm geneigten Gletscher zu zwei Steilaufschwüngen. Mit milden -18 °C und kaum Wind hatten wir perfekte Bedingungen für den Aufstieg. Ohne zusätzlichen Sauerstoff spürten wir jeden Meter, den wir höher stiegen, was uns zunehmend einbremste. Das löste ein Problem, das mich schon seit Tagen beschäftigte. Mingma Sherpa, mit dem ich 2011 am Mount Everest unterwegs war, erzählte mir, dass er im Vorjahr mit seinen Kunden zweieinhalb Stunden knapp unterhalb des Gipfels warten musste, bis sie die letzten Meter angehen konnten.

Wir legten einige Pausen ein und irgendwann, noch ein gutes Stück vom Gipfel entfernt, kamen uns die Ersten entgegen, mit dem Gipfelerfolg im Gepäck und einer Sauerstoffmaske vor dem Gesicht. Nach 8,5 Stunden Aufstieg waren wir beim Rucksackdepot, nur wenige Meter unterhalb des Gipfels. Wir machten eine Pause und warteten auf die Langsameren in unserer Gruppe.

Um 10:50 Uhr standen wir, 4 Teilnehmer, die Hochträger Jangbu und Karma Sherpa und ich, am Gipfel auf 8.163 m. Glücklich machten wir Gipfelfotos und gratulierten uns gegenseitig zum Erfolg. Der Ausblick war eher bescheiden, leider versperrte uns Nebel die Sicht auf die Welt unter uns.

Nach einer kurzen Pause beim Rucksackdepot ging es wieder hinunter. Die zwei Stunden bis zum Lager 4 zogen sich. Die Sonne brennte unerbittlich auf den Gletscher und wurde vom Nebel reflektiert, was uns recht bald die Daunenjacken ausziehen ließ.

Wieder im Lager 4 angekommen galt es, Tee zu kochen, ein wenig zu essen und fehlenden Schlaf nachzuholen. Wir mussten wieder fit für den weiteren Abstieg am folgenden Tag werden.

Abstieg ins Basislager

Die Nacht auf 7.445 m war unerwartet erholsam und nach dem Frühstück ging es mit schweren Rucksäcken bergab. Bei jedem Lager, an dem wir vorbei kamen, wurden die Rucksäcke schwerer, da weitere Ausrüstung und Müll eingeladen werden musste. Der zusätzliche Sauerstoff in den Lungen konnte die zunehmende Last auf unseren Rücken leider nur fast ausgleichen. Nach 9 Stunden erreichten wir erschöpft und überglücklich das Basislager.

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Glücklich wieder zurück im Basislager nach einer anstrengenden, aber großartigen Zeit am Berg

Ein Teilnehmer unserer Gruppe fühlte sich am Gipfeltag nicht fit genug für den weiteren Aufstieg und blieb im Lager 4. Dort konnte er sich so gut erholen, dass ihm und dem Hochträger Mingma Tenji Sherpa am darauffolgenden Tag der Aufstieg zum Gipfel gelang. Wie wir stieg er nach einer weiteren Nacht im Lager 4 ins Basislager ab.

Ein weiterer Teilnehmer brach die Expedition bereits während der Akklimatisationsphase ab und reiste früher nach Hause.

Zurück in die Heimat

Nach einem entspannten Ruhetag im Basislager brachen wir unsere Zelte ab und stiegen nach Samagaon ab. Für den Teilnehmer, der den Gipfel einen Tag nach uns erreicht hat, gab es keinen Ruhetag. Er ging in einem Zug durch, vom Gipfel bis zum Ende des Trekkings in Soti. Starke Leistung!
Zwei Teilnehmer zogen eine Rückreise per Helikopter dem Trekking vor und verließen uns in Samagaon.

Eigentlich hätten wir uns noch viel Zeit für den Rückweg lassen können. Da am Manaslu alles so reibungslos funktioniert hat und sämtliche Wettergötter auf unserer Seite waren, konnten wir den Berg eine Woche vor dem geplanten Termin verlassen. Doch weil es uns wieder in Heimat zog brachten wir die 104 Trekkingkilometer von Samagaon nach Soti in vier Tagen hinter uns. Es folgten 8 Stunden Autofahrt nach Kathmandu, ein Debriefing beim Tourismusministerium und der vorverlegte Flug in die Heimat.

Eine grandiose Zeit, ein unvergessliches Erlebnis und knapp 6 Wochen mit unzähligen großartigen Eindrücken gingen zu Ende. Schön war’s!

Kommerz am Manaslu

Wir nutzten für unseren Aufstieg zum Gipfel das erste in dieser Herbstsaison mögliche Wetterfenster. Dementsprechend viele Menschen waren am Berg unterwegs. Heuer sollen 300 Kunden und Kundinnen den Manaslu versucht haben. Hinzu kommen Hochträger*innen, Köch*innen sowie Küchen- und Hilfspersonal. Die größte Agentur am Berg war mit 67 Kund*innen und 82 Hochträger*innen vertreten.

Am „Crampon Point“, dem Steigeisendepot, ab dem es am Gletscher weitergeht, beginnt ein Fixseil, das bis zum Lager 4 hinauf reicht. Nur auf wenigen Abschnitten gibt es kein Seil, in das man sich einhängen kann und das eine gewisse Sicherheit zumindest vortäuschen kann. Zwischen Lager 2 und 3 führen drei Aluleitern über tiefe Gletscherspalten. Beim Weg zum Gipfel sind alle steileren Passagen mit Seilen versichert, der Rest ist mäßig steiles und spaltenfreies Gelände. Ein Verirren ist auch ohne Fixseil kaum möglich, denn die Spur hat sich meist einen halben Meter tief in den Gletscher gefressen.

Das alles klingt wohl sehr nach Kommerz und Verkauf des Berges. Bilder von anderen hohen Bergen im Himalaya mit hunderte Meter langen Menschenschlagen kommen einem bei dieser Vorstellung unweigerlich in den Sinn. Und es gibt sie auch hier. An geschäftigen Tagen sieht man vor den Steilstufen, wie sich zahlreiche an Fixseilen aufgefädelte Bergsteiger*innen nur äußerst langsam vorwärts bewegen.

Das Fixseil hat der Normalroute eines so beliebten Berges eine Berechtigung, obwohl der selbstständige Alpinist wohl lieber „pur“ unterwegs sein würde. Der Auf- und Abstieg ohne diesem wäre deutlich anspruchsvoller und gefährlicher. Ein rasches Vorankommen und ein schneller Rückzug sind ohne Fixseil und ausgetretener Spur schwieriger, in gefährlichen Abschnitten müsste man sich meist deutlich länger aufhalten. Sowohl für Bergsteiger*innen als auch für die Hochträger*innen wäre es nur möglich, in Gletscherseilschaft unterwegs zu sein, was vor allem den Materialtransport erschweren würde.

Trotz der oben aufgezählten Nachteile des Höhenbergsteigens an beliebten Himalaya-Gipfeln ist und bleibt es ein großartiges Erlebnis, das ja nicht nur aus dem Gehen am Fixseil besteht. Es beginnt mit dem Anmarschtrekking in einer Zeit, in der die Pfade und Lodges nur von wenigern Trekker*innen bevölkert wird.
Das Leben im Basislager mit einem Komfort, der sich von dem gewohnten in den eigenen vier Wänden erheblich unterscheidet, hat einen besonderen Reiz. Dort zaubern Köch*innen mit ihren beschränkten Möglichkeiten jeden Tag aufs Neue bestes Essen auf die Tische. Hilfsbereite und außerordentlich starke Hochträger*innen sind am Berg mit Rucksäcken unterwegs, mit denen die meisten Expeditionsteilnehmer*innen wohl kaum den Gipfel eines 3.000ers erreichen würden.

Und nicht zuletzt sind da die vielen Bergsteiger*innen, die alle ein gemeinsames Ziel haben. Den höchsten Punkt eines imposanten Berges. Alle sind hoch motiviert und niemand weiß genau, was in den kommenden Wochen am Berg auf einen zukommen wird. Es ist eine Herausforderung für jede und jeden, egal ob schon 12 Achttausender im Gepäck sind oder hier am Gletscher neben dem Basislager das erste Mal mit Steigeisen gegangen wird. Egal, ob mit oder ohne Flaschensauerstoff. Egal, ob vor dem Lager 1 schon aufgegeben oder der Gipfel in Rekordzeit erreicht wird. Es ist ein Erlebnis und Abenteuer. Und das in einer unheimlich eindrücklichen und imposanten Natur, die man nicht nur spüren und hören kann, wenn nach Schneefall im Minutentakt Lawinen die nahe Südostwand des Naike Peaks hinunterdonnern.

Ich habe am Berg zwischen Teilnehmer*innen, Hochträger*innen und Bergführer*innen immer ein „Miteinander“ erlebt und gesehen, und kein „Gegeneinander“. Egal ob aus Mitteleuropa, Nepal, Südamerika, China, Russland, Iran oder den USA, es wird gegrüßt, geredet, Erfahrungen ausgetauscht und, wenn erforderlich, Hilfe angeboten. Ein solcher Gipfel kann nur mit der Unterstützung Anderer erreicht werden, nie im Alleingang.
Kleine Konflikte gibt es natürlich auch am Berg. Es wäre sehr verwunderlich, wenn die Unstimmigkeiten gerade an einem Ort ausblieben, an dem Höhenkopfschmerz, Wind, Kälte, Harndrang und Nervosität durchgeschlafene Nächte selten machen.

Bei meiner Bergführertätigkeit an den populäreren Gipfeln der West- und Ostalpen herrschen oft bedenklichere Zustände. Überfüllte Hütten, überteuertes und nicht unbedingt wohlschmeckendes Essen, stundenlanges Anstehen vor Seilbahnen und Bergsteigerschlangen auf einfachsten Normalwegen sind keine Seltenheit. Viel zu oft treffe ich Menschen auf anspruchsvollen Gletschertouren, die bislang höchstens beim Mixen von Gin Tonics Erfahrungen mit Eis gesammelt haben.

Die Verwendung von Flaschensauerstoff, das Gehen am Fixseil und die Inanspruchnahme der Hilfe von Hochträger*innen nehmen einer solchen Unternehmung zweifellos viel von ihrer Ernsthaftigkeit und schmälert auch den Erlebniswert des Höhenbergsteigens. Doch auch in den Alpen würde nur ein Bruchteil der Bergsteiger*innen die höchsten Gipfel erreichen, wenn sie nicht Seilbahnen, bewirtete Hütten, hochgeflogenes Essen, markierte Wege, Stahlseile und Leitern benützen würden. Wie sähen wohl Ortschaften wie Zermatt, Chamonix, Sölden oder Lech ohne Lifte und ohne Touristen aus?

Es ist leicht daheim zu sitzen und über Menschen und Zustände zu urteilen, von denen man denkt sie zu kennen, nur weil man sich den Bericht oder das Bild einer Momentaufnahme verkaufen hat lassen. Das Beste ist, selbst raus- und raufzugehen. Die Bergwelt ist grandios und die Natur überwältigend.

Erfolg und Misserfolg

Während den Aufstiegen zu den Lagern und zum Gipfel sind mir viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Natürlich auch Überlegung, wie ich mich nach dieser Expedition ohne erreichten Gipfel fühlen würde. Ja, das Umdrehen ist ein Teil des Bergsteigens, aber das Erreichen des höchsten Punktes auch. An den zwei von mir geführten 7.000er-Expeditionen mussten wir umdrehen, einmal aufgrund der hohen Lawinengefahr, das andere Mal wollten Wetter und Verhältnisse ganz und gar nicht mitspielen. Die Gründe können meist nicht beeinflusst werden, dennoch hat eine Abreise ohne den Gipfel erreicht zu haben schon einen leicht unschönen Beigeschmack.

Gerade für mich als Bergführer hat das Erreichen des höchsten Punktes eine große Bedeutung. Ich will für alle Teilnehmer*innen die besten Bedingungen schaffen, dass sie an ihrem Ziel – dem Gipfel – ankommen. Sicherheit und Gesundheit sind ohne Frage das oberste Gebot, aber gleich danach kommt der Gipfel.

Ein so hoher Berg ist für jeden Bergsteiger und jede Bergsteigerin eine große physische und psychische Herausforderung, Bergführer zu sein hilft diesbezüglich wenig. Es reicht eine kleine Erkältung, ein bisschen Durchfall, eine kleine Verletzung, ein kurzes Motivationstief, und schon sind die Chancen dahin. Auch wenn man bestens darauf vorbereitet ist und auf viel Erfahrung in hohen Bergen zurückgreifen kann. Es ist eben schon ein bisschen mehr, als am Wochenende schnell mit zwei Kunden am Seil auf den Mont Blanc zu steigen.

Als Bergführer fühle ich bei Expeditionen noch einen zusätzlichen Druck, denn der Erfolg der Teilnehmer hängt zu einem bestimmten Teil auch von meinem ab. Doch ich war ziemlich sicher, dass unsere Chancen gut stehen. Mein Jahr fing mit ja einem windstillen Gipfeltag am Aconcagua an, ging mit einem Erfolg am Elbrus weiter und brachte mich neben vielen Alpengipfeln auch auf einer neuen Route zum höchsten Punkt eines peruanischen 6.000ers…

Meine Freude über das Erreichen des Gipfels am Manaslu war wahrscheinlich größer als die der Teilnehmer. Denn ich durfte auch einen Teil dazu beitragen, dass sich andere Menschen einen großen Traum erfüllen konnten.

Kurz vor Mitternacht nach unserer Ankunft in Kathmandu setzte ich mich in die Hotelbar des Yak & Yeti, bestellte ein überteuertes Bier, stieß mit mir selbst an und freute mich ganz privat und leise über diese großartige Reise.

Auf dass viele Weitere folgen, am liebsten mit genauso starken und motivierten Kunden und Kundinnen, wie am Manaslu!

Erster Gipfelversuch 8.163 m

Die Akklimatisationsphase ist abgeschlossen und zwei Ruhetage haben uns ein bisschen Energie zurückgebracht. Morgen Sonntag starten wir zum Gipfel, den wir am Donnerstag erreichen wollen – wenn alles so klappt, wie geplant.

Vor einer knappen Woche sind wir zu unserer letzten Akklimatisationsrunde aufgebrochen. Die Wettervorhersage war zwar nicht perfekt, doch davon ließen wir uns nicht abhalten.

So ging es hinauf ins Lager 1 (5.600 m), am nächsten Tag für die erste Nacht ins Lager 2 auf 6.350 m. Auf dieser Route geht es schon richtig zur Sache. Dem oft nicht sehr vertrauenswürdigen Fixseil entlang führt der Weg teilweise auf Leitern über tiefe Gletscherspalten und hinauf über stellenweise senkrechte Gletscherabbrüche. Hier erfährt man, warum der Manaslu ist nicht als der einfachste, und auch nicht als der objektiv sicherste Achttauender bekannt ist.

Auf der Höhe des zweiten Hochlagers fühlten wir uns noch recht wohl, und trotz angekündigtem Schneefall verlebten wir die erste niederschlagsfreie Nacht am Berg. Dafür war sie mit -14 °C im Vorzelt recht kalt.

Am Mittwoch stiegen wir weiter auf. Das Wetter verschlechterte sich und bei stetigem Schneefall ging es über zwei weitere Steilstufen zum Lager 3 auf 6.720 m. Es waren zwar nur knapp 400 Höhenmeter, aber weil wir für diese Höhe noch nicht akklimatisiert waren und die Rucksäcke ein ordentliches Gewicht hatten, war es doch recht anstrengend. Nachdem wir unseren Hohträgern Mingma Tenji und Karma beim Aufbau der Zelte und – ganz wichtig – des Lokus geholfen hatten, entspannten wir in unseren Schlafsäcken und versuchten, die im Aufstieg verlorene Flüssigkeit wieder nachzufüllen.

Die kommende Nacht war mild und brachte neben 30 cm Neuschnee auch Kopfschmerzen mit sich. Kaffee, Schüttelbrot und Frischkäse machten uns aber wieder fit für den Abstieg ins Basislager. Den Alternativplan – noch ein paar Höhenmeter aufzusteigen und dann noch eine Nacht in Lager 3 zu verbringen – verwarfen wir, da noch keine Fixseile weiter hinauf führten und weil ein logistischer Fauxpas unser kulinarische Vielfalt am Berg vorerst sehr stark einschränkte. Anders ausgedrückt, wir hatten fast nichts mehr zum Essen.

Im Basislager wurden wir mit einem feinen Mittagessen empfangen, der Nachmittag brachte eine Dusche, Entspannung, Bier, Speck, Käse, Oliven, Knäckebrot und Rotwein mit sich, und in der Nacht wurde der fehlende Schlaf nachgeholt.

Die folgenden Ruhetage gestern und heute waren wichtig, denn wenn auch noch mehr als 1.400 Höhenmeter bis zum Gipfel fehlten, waren es doch recht anstrengende Tage mit schweren Rucksäcken.

Der Wetterbericht für die kommenden 8 Tage ist wie für uns gemacht. Wir starten morgen Sonntag ins Lager 1. Die ersten Tage sollten noch ein wenig bedeckt sein, was bei der sonst sehr starken Sonneneinstrahlung äußerst angenehm ist. Danach stellt sich eine stabile Gutwetterphase ein, mit mäßig starkem Wind und nicht allzu kalten -22 °C im Gipfelbereich.

Die Rucksäcke werden morgen Vormittag gepackt und nach dem Mittagesen starten wir den ersten 6 Tage langen Versuch, den 8.163 m hohen Gipfel des Manaslu zu erreichen.