Der zweite Start mit dem Kajak, das Ziel: der Fiordo de las Montañas.
Uns erwarteten spektakuläre Gletscher die direkt ins Meer kalben, wilde, einsame Natur und – selbstredend – äußerst anspruchsvolles Wetter. Patagonien hat sich auch diesmal von seiner wahren, harten und ungeschönten Seite gezeigt. Es waren 18 oft harte und intensive Tage, definitiv eine unvergessliche Erfahrung…
Fahrt in den Fiordo de las Montañas
Am 22. Jänner starteten wir zum zweiten Mal in Puerto Natales und fuhren zu Soto, dem Fischer, bei dem wir schon letztes Mal das Auto abgestellt hatten. Am Nachmittag stiegen wir in unsere mit Essen und Ausrüstung vollgefüllten Kajaks. Den ersten Teil der Strecke kannten wir ja schon, unsere Motivation lag bei mehr als 100 Prozent und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite.
Das Problem bei einer Fahrt in den äußersten Westen Patagoniens ist, dass man dem schlechten Wetter entgegen fährt. Und die von Nord nach Süd verlaufenden Gebirge sorgen auch dafür, dass es sich hartnäckig in unserem Zielgebiet hält. Hinzu kommt, dass Wind, Regen und Wolken in den Fjorden und Tälern kanalisiert werden und dort dem paddelnden Volk (also Lars und mir) das Leben schwer machen.
Vor der Ankunft im Fiordo de las Montañas haben uns Böen mit weit über 70 km/h zum stundenlangen Warten und einem frühzeitigen Camp gezwungen. Am vierten Paddeltag konnten wir uns schließlich gegen den Wind in den 60 km langen und nur 1,5 km breiten Fjord kämpfen. Wir wurden mit wunderbaren Ausblicken auf vereiste, weiße Gipfel, steile Gletscherbrüche, versteckte Seen, tolle Ausblicke über die Landschaft und einem niederschlagsfreiem (!) Spätnachmittag belohnt.
Sein wahres Gesicht hat uns Patagonien am nächsten Vormittag wieder gezeigt. Trotz Regen haben wir am Nachmittag unsere Sachen gepackt und sind weiter in den Norden gefahren.
Die Westküste des Fiordo de las Montañas ist steil und felsig, über ihm thront die Cordillera Sarmiento mit vielen noch unbestiegenen Gipfeln. Sechs Gletscherzungen kalben direkt ins Meer, weiter oben brechen gigantische Eismassen über senkrechte Felswände. Auf der östlichen Seite des Fjords ist die Landschaft ein wenig flacher, über Lagunen und oft schneebedecken Felsrücken ragt das steile Felsmassiv Grupo de la Paz, das den Vergleich mit den Drei Zinnen nicht scheuen muss. Es gibt keine Siedlung oder Behausung in dieser Gegend, das unwirtliche Wetter, die raue Landschaft und die Abgeschiedenheit hält Menschen erfolgreich davon ab, länger als nötig zu bleiben. Zudem ist die Küste entweder so steil, dass ein Anlanden unmöglich ist, oder die Vegetation so dicht, dass man kaum weiter als zum Beginn des dornigen Bewuchses kommt.
Gelegentlich verirrt sich in der Hochsaison ein Touristenboot in den Fjord, richtig nah an die Gletscher kommt man jedoch nur mit Kajaks, da die Zugänge dorthin zu seicht für größere Boote sind. Glück hat, wer ohnehin im Kajak reist.
Spektakuläre Gletscher
Der erste Gletscher, an dessen Fuß wir unser Camp aufgeschlagen haben, war der Ventisquero Zamudio. Wir sind zwischen kleinen Eisbergen zum beeindruckenden Gletschertor gepaddelt, und sogar die Sonne hat ein paar Minuten Licht für Foto- und Filmaufnahmen gespendet. Am nächsten Gletscher, dem Ventisquero Bernal, hatten wir noch mehr Glück. Die Sonne zeigte sich für mehrere Stunden und der Wind hat sich brav zurückgehalten. Wir haben die Chance genützt und sind am Gletscher aufgestiegen, um die Zustiege zu den noch unbestiegenen Gipfeln der Cordillera Sarmiento zu erkunden. Dieser Gletscher ist einer von wenigen Zugängen in eine wilde und abweisende, jedoch faszinierende Bergwelt.
Eigentlich war es nicht wirklich überraschend, dass sich nach so viel Wetterglück die Sonne an den kommenden Tagen verzogen und dem Sturm Platz gemacht hat. Es ist ja schon anstrengend, wenn es ohne Unterlass regnet, wenn man bei jedem Klogang von Wind und Regen durchnässt wird und einfach keine Chance hat, irgendetwas zu trocknen. Auf der anderen Seite wird das Leben drastisch vereinfacht. Auf zweieinhalb Quadratmetern befindet sich alles, was man besitzt und für sein Leben braucht, man kann stundenlang seinen Gedanken freien Lauf lassen und hat endlich mal wieder ausreichend Zeit, Bücher zu lesen. Wenn der Regen für ein paar Minuten schwächer wird weiß man, dass die Zeit gekommen ist, dringende Geschäfte zu erledigen.
Und wenn sich dann zum ersten Mal wieder ein Sonnenstrahl zwischen den Wolken durchschiebt, spielen sich Szenen ab, die jeden Beobachter die geistige Gesundheit der Campbewohner anzweifeln lassen würde: Denn nach zeitgleichen „Sonneeee!!“-Schreien aus zwei Zelten werden Reißverschlüsse geöffnet, zwei Gestalten in nassen Jacken und Hosen spazieren singend und juchzend um die Zelte, schleppen Unmengen nasser Kleidung und Ausrüstung vors Zelt, nur um zwanzig Minuten später, beim wieder einsetzenden Regen, alles leise fluchend wieder ins Zelt zu räumen. Danach Stille, Regen, Wind, Brandung und die Geräusche von Gletschereis, das ins Wasser fällt…
Nach zwei Regen- und Sturm-Tagen im Zelt kam Lars‘ Geburtstag, der ganz anders verlaufen ist, als wir uns gedacht hatten. Gegen Mittag hörten wir ein kleines Boot auf dem Fjord, das dann auch den Weg zu unseren Zelten gefunden hat. Darin saßen Héctor, Camilo und Camilo – unsere Nachbarn, wie sich herausstellte. Ihr eigentliches Boot mit Schlafplätzen für neun Personen lag am Ende eines Nebenarmes auf der gegenüberliegenden Seite des Fjordes. Heuer ist das erste Jahr der Unternehmung »Patagonian Fjords Expeditions«, die das Ziel hat, Touristen in den Fiordo de las Montañas zu bringen um dort wandernd und mit Boot diesen einsamen Teil Patagoniens kennenzulernen.
Héctor, seines Zeichens Gründer und Chef von »Patagonian Fjords Expeditions«, erzählte uns, dass die nächste Gruppe erst in ein paar Wochen kommen würde und weil er bewundere, dass wir mit Kajak und Zelt unterwegs seien, lud er uns ein, mit aufs Boot zu kommen. Obwohl das Leben im Zelt schon sehr toll ist, klang die Aussicht auf einen beheizten, trockenen Raum, in dem man sich auch bei Regen und Sturm aufrecht bewegen kann, schon sehr verlockend und wir entschieden, Lars‘ Geburtstag bei und mit Héctor und den beiden Camilos zu feiern.
Am Boot angekommen holte ich zwei Dosen Fohrenburger-Bier aus meinem Kajak und wir stießen erstmal Lars‘ nächstes Lebensjahr an. [Unglaublich aber wahr, der Supermarkt Colo-Colo an der Simón Bolívar in Puerto Natales verkauft das Vorarlberg Bier in 500 ml Dosen. Als ich es gesehen habe dachte ich zuerst, es wäre eine Halluzination, hervorgerufen durch fragwürdige Inhaltsstoffe im Cerveza Austral oder anderem lokalem Bier, mit dem wir den Durst nach der ersten Kajak-Reise gelöscht hatten…]
Vom Nebenarm des Fjords, in dem Héctor sein Basislager-Boot stationiert hat, gibt es eine Möglichkeit über Land und durch einen See in den Estero Resi zu kommen, was eine Abkürzung nach Puerto Natales darstellen würde. Ob es auch möglich ist, die Kajaks ein paar Kilometer zu schleppen um Paddelstrecke zu sparen und Zeit im Fjord zu gewinnen, wollten wir am kommenden Tag herausfinden. Héctor bringt seine Kunden auf diesem Weg in den Fiordo de las Montañas und zeigte uns den Pfad, der früher von der indigenen Bevölkerung benutzt wurde. Leider mussten wir feststellen, dass es mit dem vielen Gepäck und den langen Kajaks wenig sinnvoll ist, diese Abkürzung zu nutzen.
So verbrachten wir eine zweite Nacht auf Héctors Boot und ließen uns am folgenden Tag sogar noch ein paar Kilometer gegen Sturm und Wellen weiter in den Norden des Fjords bringen. Dort bedankten wir uns herzlich für die wunderbare Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft und schauten dem im Regen davonfahrenden Boot hinterher.
Zurück in die Zivilisation
Wir waren ein wenig perplex ob der vorangegangenen zwei Tage, ob der unerwarteten Begegnung und den Annehmlichkeiten, die wir erfahren haben, nun schon das zweite Mal auf dieser Kajak-Reise in dieser eigentlich so menschenleeren Gegend. Auch waren wir beeindruckt von der Freundlichkeit und selbstverständlichen Gastfreundschaft, die uns wieder entgegengebracht wurde. Diesen Gedanken und Gefühlen nachsinnend sind wir zum nächsten Gletscher gefahren, bei dem wir das wohl tollste und spektakulärste Camp der gesamten Tour aufbauen konnten. In einer geschützten Mulde auf einer Endmoräne, nur wenige Meter von der steil abbrechenden Gletscherzunge entfernt war genug Platz für Zelte und Kajaks, der Gletscher knackte und brummte laut und immer wieder brachen riesige Eisblöcke ins Wasser neben unserer kleinen Halbinsel. Der erste Mini-Tsunami ließ uns sofort zu den noch nicht gesicherten Kajaks rennen, um zu verhindern, dass sie in den Fjord hinausgespült werden. Den restlichen Tag verbrachten wir paddelnd unterhalb des Ventisquero Paredes, von dem zwei imposante Gletscherzungen ins Meer kalben.
Langsam wurde es Zeit, an die Rückreise in die Zivilisation zu denken, denn die Essensvorräte waren schon stark dezimiert und für die Strecke zurück mussten wir fünf Paddeltage einplanen, Sturmtage im Zelt nicht mitgerechnet. Also ging es wieder in den Süden. Wir gönnten uns noch einen Tag bei der Gletscherzunge des Ventisquero Hermann, dessen Eis am Ende eines 3,5 km langen Seitenarms des Fjordes, zwischen senkrechte Felswände gequetscht, ins Salzwasser bricht. Die restlichen Tage zur Bahía Talcahuano verliefen wie gewohnt, viel Regen und Wind, jedoch auch Phasen mit richtig ruhigem Wetter, bei dem wir ordentlich Strecke machen konnten.
Nach 200 km im Kajak seit unserem Aufbruch vor 18 Tagen kamen wir wieder beim Haus unseres Fischer-Freundes Soto an, der uns – wie bei unserer letzten Rückkehr – auf Kaffee und Butterbrote einlud. Anschließend luden wir unser Gepäck in und die Kajaks auf den Bus, und los ging die Fahrt nach zur Fähre nach Puerto Natales. Wir hatten Glück und konnten nach einer kurzen Wartezeit übersetzen.
Puerto Natales und zurück in die Heimat
Was für ein Kontrast, wieder in der Zivilisation zu sein. Trockene Kleidung, Schutz vor Wind und Regen, Licht, Strom aus der Dose, Toiletten, heiße Duschen und richtiges Essen im Überfluss. Wie leicht das Leben doch sein kann – und wie schnell man die einfachen und manchmal beschwerlichen Verhältnisse in der Natur vergisst und zwischendurch auch sehr vermisst.
Es folgten ein paar Tage mit organisatorischen Tätigkeiten wie Ausrüstung trocknen, warten und verpacken, sowie der Planung des Trips zurück nach Uruguay. Diesmal wählten wir eine Route, die größtenteils entlang der Atlantikküste verlief, mit wunderbaren Abenden am Meer und viel Pampa, Pampa, Pampa. In Uruguay standen dann Reparaturarbeiten an den Kajaks und am Auto an, und das Gepäck musste wieder in den Reisetaschen verstaut werden. Ende Februar ging dann Lars‘ Flieger nach Brasilien und mein Flug nach Europa. Irgendwie hat es geklappt meine diesmal nur 73 kg Gepäck an Board zu bekommen, und nach zwei Tagen und zwei Nächten auf Flughäfen und in Flugzeugen bin ich wieder in meinen eigenen 33 m² in Nüziders angekommen.
So ging eine tolle Reise zu Ende, eine Reise mit vielen sehr starken Eindrücken, vielen freudigen Situationen, einigen Kämpfen mit der sehr eigensinnigen und entschlossenen Natur und auch ein paar frustrierenden Momenten. Patagonien ist seinem Ruf gerecht geworden und hat definitiv Lust auf Mehr gemacht. Wir waren insgesamt 31 Tage mit den Kajaks und am Berg unterwegs, davon haben wir ca. eine Woche bei Schlechtwetter im Zelt verbracht. Gepaddelt sind wir 325 km, größtenteils bei schlechtem Wetter und Gegenwind, die Anzahl der Sonnenstunden dürfte nur knapp zweistellig gewesen sein.
Die Eindrücke von Natur, Meer, Gletschern und Bergen werden noch lange nachwirken, der Wunsch, wieder in diese Gegend zurückzukehren ist sehr groß.
Auf der einen Seite ist es der Monte Burney, der mich sehr reizt: Technisch wahrscheinlich nicht allzu schwierig, jedoch ist die Besteigung dieses Berges auf einer neuen Route von einer Seite, an der wahrscheinlich noch kein Mensch unterwegs war, sehr verlockend. Es sind der anspruchsvolle Weg zum Berg, das Suchen einer Route, das unbarmherzige Wetter und der unberechenbare Wind, die einen Besteigungsversuch zu einem Abenteuer macht, wie es die Entdecker vor 70 oder 80 Jahren erlebt haben.
Die Cordillera Sarmiento ist ein anderes, sehr lockendes Expeditionsziel für zukünftige Projekte. Technisch anspruchsvoll, von der Küste bis zum Gipfel. Steiles Eis, gigantische Gletscher und äußerst forderndes Wetter. Ich denke, an diesen Bergen kann man Patagonien zu 150 Prozent erfahren.
Viele, viele Patagonien-Pläne spuken in meinem Kopf herum, doch als nächstes geht es nach Peru, und es ist an der Zeit, mit den Vorbereitungen zu beginnen…
Weitere Infos zum nächsten Projekt 6425²ZERO: zero.derBERG.at
Herzlichen Dank unseren Partnern:
Lettmann
Lowe alpine
ZEAL Optics
Und einen ganz besonderen Dank all den Menschen, die uns unterstützt haben:
Edu Koch
John Shipton
Helene Fritsche
Soto Juan Moises
Héctor (Chino) Díaz
Camilo Javier Silva Vega
Camilo Gesell
Victor Vargas
Nono, Jan & Meyer
José Varga Guerrero
Fernando Viveros
Heinz und Silvia vom Paraíso Suizo
Felix & Timo
und vielen mehr…