Das Leben am Achttausender unterscheidet sich gar nicht so stark vom Alltag daheim. Routine, Drama, Erfolg und Misserfolg – alles ist da, nur ein wenig anders.
Das Bergsteigerische: Wir haben uns eingelebt und das erste Drittel unseres Gipfelplans umgesetzt. Zwei Nächte im Lager 1 liegen hinter uns, der erste Akklimatisations- und Transportgang zum Lager 2 ist auch erledigt. Morgen folgt der zweite Streich, in drei Etappen schlafen wir uns zum Lager 3 hoch.
Natürlich sind wir superstark, motiviert und wir wissen auch, dass die schlechte Wetterprognose falsch ist. So ware die Vorhersagen bislang auch nur in Ansätzen richtig.
Der Alltag und die Dramen: Wie daheim wird auch hier getratscht und spekuliert. Wir machen uns ein wenig über die einen Nachbarn lustig und erfahren von der anderen Gruppe nebenan die neuesten Geschichten aus dem Manaslu-Universum. Da soll doch einer umgehen, der im Lager 2 Essen und Gas klaut, und danach sogar die Zelttüren weit offen stehen lässt. Es wird gemunkelt, es seie der Italiener. Warum es nicht der Rumäne, der Pole oder der Montafoner war, ist nicht klar. Gesehen hat ihn niemand, und eigentlich sind diese alle vorurteilsgeschichtlich doch gleich vorbelastet.
Und dann war da noch die Wunderheilung. Ein Teilnehmer luxiert sich beim Abstieg vom Lager zwei die Schulter, er wird in zwei mühsamen Etappen ins Basislager begleitet, wo für den nächsten Tag ein Helikopter nach Kathmandu organisiert wird. Wundersamerweise renkt sich während dem Abstieg die Schulter wieder ein, und kurz vor die Hubschrauberrettung anläuft verschwinden auch die Schmerzen und das Fortführen der Bergreise ist doch wieder möglich.
Fast so wunderlich ist das Wiederauftauchen des verlorenen Bergsteigers, der zuletzt im Aufstieg zum Lager zwei gesichtet wurde. Danach galt er als verschollen, sein Freund war besorgt, die Expeditionskollegen ratlos. Zwei Tage wird gesucht, gefragt, an Zelte geklopft – bis ein Funkspruch enthüllt, dass er sich doch im Basislager befindet. Welch Mysterium.
Ja, Religiosität wäre hier in vielen Situationen hilfreich, und es ließe sich damit so manches erklären. Statt beten und frohlocken schüttle ich jedoch immer wieder den Kopf, und in besonders kuriosen Fällen kommt sogar der Vanderbell’sche Scheibenwischer zum Einsatz.
Bei all der Aufregung kommen die gelegentlichen Ruhetage genau recht. Wie schön, dass es sie gibt. Diese vergehen jedoch unglaublich rasch. Der Expeditionsleiter einer Gruppe hat dann endlich Zeit, entspannt zwischen Teilnehmern, Basislagercrew, Hochträgern, der Agenur in Kathmandu und den Verantwortlichen in Deutschland zu vermitteln. Danach wollen Unterhosen und Merinoshirts den Dreck der letzten Tage loswerden und es sollte ja noch Speck für die kommenden Tage am Berg angegessen werden. Letzteres stellt bei dem vorzüglichen Basislager-Essen die kleinste Schwierigkeit dar. Manchmal ist auch Zeit für eine Dusche. Und weil das Internet zwischen 23:00 und 4:00 Uhr recht passabel funktioniert, kann auch die Social Media mit Bildern und ein paar Worten gefüttert werden.
Natürlich darf nicht vergessen werden, weshalb diese Ruhetage erfunden wurden: Entspannen, Kaffee trinken, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und dabei ein gutes Buch lesen. Auch ich habe eines dabei – klassisch, aus Papier. In den letzten zweieinhalb Wochen habe ich es schon bis auf Seite 22 geschafft.
Morgen geht es wieder los, Rucksäcke werden gepackt, Gaskartuschen gezählt und beim Abendessen bleibt kein Krümel übrig, denn wir wollen doch, dass Regen und Schneefall endlich vorüber gehen…